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Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers

Titel: Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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ERSTES KAPITEL
    »Du weißt über diese Sache mehr als ich. Ich verstehe nicht, warum du mich um Hilfe bittest.«
    Der große stattliche Mann in der Generalsuniform trat hinter seinem Schreibtisch hervor und begann, langsam und gemessen in seinem geräumigen Büro auf und ab zu gehen. Sein Gesprächspartner saß mit übergeschlagenen Beinen locker in einem Sessel, aber seine ungezwungene, selbstsichere Haltung war nur vorgetäuscht. Im Innern war Anton Andrejewitsch Minajew angespannt wie eine Saite, obwohl er in diesem Moment nicht mit einem Gegner sprach und nicht einmal mit einem Vorgesetzten, sondern mit einem guten alten Freund aus Universitätszeiten. Zwar bat er ihn um einen Gefallen, um Hilfe, aber schließlich waren sie Freunde. Außerdem besaßen sie denselben Dienstgrad, trugen dieselben Schulterstücke an ihren Uniformen und erfüllten beide dieselbe Funktion, wenn auch in verschiedenen Dienststellen.
    »Was tut hier mein Wissen zur Sache, Sascha. In diesem Fall schadet es nur«, erwiderte Minajew. »Es geht doch darum, dass der Junge einfach nicht bis nach Moskau kommen wird, weil man ihn schon auf dem Weg vom Straflager zum Bahnhof sofort an der Gurgel packen wird. Ich verfüge zur Zeit über keinen operativen Mitarbeiterstab, und sich an die Vorgesetzten anderer Dienststellen zu wenden wäre verlorene Liebesmüh. Ich bitte dich nur um zwei Dinge. Hole bei der Lagerverwaltung eine operative Information über ihn ein, und sorge dafür, dass er sicher nach Moskau kommt. So, wie die Dinge vor zwei Jahren lagen, muss ich davon ausgehen, dass es sehr viele Leute gibt, die an diesem Mann interessiert sind, und ich möchte der Erste sein, der ihn trifft. Das ist alles. Dann soll er selbst entscheiden, wo und wie er leben und für wen er arbeiten will, falls er überhaupt leben und arbeiten und nicht sterben und im Leichenschauhaus landen will.«
    »Was für ein Interesse hast du an diesem Mann? Wenn du dich in die Politik einmischen willst, Anton – bitte sehr, viel Glück. Aber ohne mich. Solche Spiele spiele ich nicht. Ich kann dir helfen, obwohl das einiges an Aufwand bedeutet, aber ich werde keinen Finger rühren, solange du mir nicht sagst, was du von diesem Halunken willst.«
    »Da gibt es einiges, Sascha«, sagte Anton Andrejewitsch sehr ernst und sogar etwas traurig. »Aber vor allem geht es um eines. Sauljak war Bulatnikows Informant und ist praktisch sofort nach dessen Tod im Straflager verschwunden. Erinnerst du dich daran, wie Wladimir Wassiljewitsch Bulatnikow gestorben ist? Ich möchte wissen, wer Sauljak von der Bildfläche verschwinden ließ und warum. Wollte man ihn schützen? Oder, im Gegenteil, zum Schweigen bringen? Ich will von ihm erfahren, wer diejenigen waren, die wissen, wie und warum Bulatnikow ums Leben kam. Versteh doch, Sascha, Bulatnikow war mein Lehrer, er hat die Dienststelle geleitet, in der ich als kleiner Inspektor anfing, und unter seiner Führung und mit seiner Unterstützung bin ich die ganze Leiter hinaufgeklettert, bis zum stellvertretenden Dienststellenleiter. Ich brauche Sauljak, weil nur er weiß, mit welchen Angelegenheiten Wladimir Wassiljewitsch beschäftigt war, als er auf so seltsame Art ums Leben kam. Und nur Sauljak kann mir sagen, wie und warum er selbst hinter Gittern gelandet ist.«
    »Das klingt überzeugend«, sagte Alexander Semjonowitsch mit einem Kopfnicken, während er fortfuhr, mit gemessenen Schritten auf und ab zu gehen.
    »Wann wird Sauljak entlassen?«
    »Genau weiß ich es nicht, irgendwann zwischen dem ersten und fünfzehnten Februar.«
    »Nun ja, dann haben wir also noch gute zehn Tage Zeit. Ich werde sehen, was ich tun kann, Anton. Ich kann dir nichts Konkretes versprechen, du weißt ja selbst, dass solche Dinge langfristig vorbereitet werden müssen und dass man in zehn Tagen keine Wunder erwarten kann. Ich werde die entsprechende Anfrage an die Lagerverwaltung richten, aber für die Qualität und Vollständigkeit der Auskunft kann ich nicht bürgen. Und darüber, wie wir Sauljak nach Moskau bekommen, werden wir noch nachdenken müssen. Entschuldige mich, Anton, aber lass uns dieses Gespräch zu Hause fortsetzen. Jetzt ist es bereits fünf nach drei, und ich habe für drei Uhr eine Besprechung anberaumt. Die Leute warten.«
    General Minajew erhob sich sofort aus dem tiefen Sessel, und die Mühelosigkeit, mit der er aufsprang, ließ sofort erkennen, dass sich während des gesamten Gesprächs kein einziger seiner Muskeln auch nur für eine

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