Unterwelt
Fenster konnte man die Geräusche der Zuschauer nur gedämpft hören. Die Stimme des Radiosprechers, die aus der Kabine übertragen wurde, drang deutlich durch, aber die Menge blieb in unheimlicher Distanz, stöhnte tief wie ein versprengtes Bataillon.
Brian Glassic sagte: »Hab gehört, jetzt wird endlich nicht mehr auf hoher See vor der Ostküste verklappt.«
»Nicht beim Essen«, sagte ich.
»Erzähl's ihm«, sagte Sims. »In allen Einzelheiten. Er soll es riechen können.«
»Ich habe auch gehört, je mehr in einer bestimmten Gegend verklappt wird, desto üppiger blüht das Unterwasserleben.«
Sims warf der Engländerin, die als einzige Fisch aß, einen Blick zu.
»Haben Sie das gehört?« sagte er. »Das Unterwasserleben blüht und gedeiht.«
Und Glassic sagte: »Essen wir schnell und machen, daß wir hier rauskommen, damit wir auf der Tribüne sitzen können wie normale Leute.«
Und Sims sagte: »Wozu das denn?«
»Ich muß die Zuschauer hören.«
»Ach Quatsch.«
»Was ist ein Spiel ohne das Geschrei der Zuschauer?«
»Wir sind hier, um etwas zu essen und ein Spiel zu sehen«, sagte Sims. »Ich habe mich extra darum bemüht, einen Tisch am Fenster zu kriegen. Du gehst doch nicht ins Baseballstadion, um ein Spiel zu hören. Sondern um es zu sehen. Kannst du gut sehen?«
Simeon Biggs, Big Sims, war in der Firma berüchtigt für seine Körperfülle in der Leibesmitte. Er war fett, glatzköpfig und fünfundfünfzig, aber auch kräftig, sein Hals und seine Arme waren wie aus Steineiche. Wenn er einen nett genug fand, kriegte man auch schon mal einen Puff vor die Brust oder wurde zu einem Wettrennen um den Häuserblock gefordert. Sims kümmerte sich um die betriebliche Seite von unserem Los-Angeles-Campus, wie das bei uns hieß, und entwarf Landaufschüttungen, die hübscher waren als jede pastellfarbene Mall.
Glassic sah mich an und sagte: »Wir brauchen Videohelme und Daten-Handschuhe. Das ist doch keine normale Realität. Das ist virtuelle Realität. Und wir haben nicht die richtige Ausrüstung dafür.«
Sims sagte: »Wenn wir auf unsere Plätze gehen, können wir unsere Drinks nicht mitnehmen.«
»Das ist ein schlagkräftiges Argument«, sagte ich.
Bislang hatte ich mir nur an Abenden mit Sims den Magen verdorben oder zu viel getrunken, Sims, dem lebenden Protest gegen jeden Versuch der Mäßigung.
Die Engländerin sagte: »Also wenn ich das recht verstehe, bekommt der Werfer ein Zeichen vom Fänger. Mach den oder den Wurf. Schnell oder langsam, hoch oder tief. Aber was passiert, wenn er das vollkommen anders sieht als der Fänger?«
»Dann schüttelt er das Zeichen ab«, sagte Glassic.
»Ah ja.«
»Er wedelt mit dem Handschuh oder schüttelt den Kopf«, sagte Sims. »Oder er starrt den Fänger in Grund und Boden.«
Die Engländerin, Jane Farish, war eine BBC – Produzentin, sie wollte eine Sendung über die Salzstöcke machen, die wir unter der Leitung des Energieministeriums für die Lagerung von Atommüll testeten. Sie war seit Jahren eifrig damit beschäftigt, amerikanische Kultur zu verschlingen, überall vor lauter Interviews verbrannte Erde zu hinterlassen, wie sie sagte – Pornokönige, meditierende Mönche, Bluessänger im Gefängnis. Sie hatte gerade eine Kalifornientour hinter sich, war unterwegs zu einem Pokerturnier in Reno und wollte dann in die Wüste, um Klara Sax zu interviewen.
Die Dodgers spielten gegen die Giants.
Sims schaute Farish an und sagte: »Die zwei Mannschaften haben eine lange Geschichte, wissen Sie. Bis Ende der Fünfziger waren sie New Yorker Mannschaften.«
»Dann sind sie an die Westküste gegangen, stimmt's?«
»An die Westküste, und haben dabei Nicks Herz und Seele mitgenommen.«
Farish warf mir einen Blick zu.
»Da war nichts mehr mitzunehmen. Zu der Zeit war ich schon ein Nichtfan. Ausgebrannt. Das ist heute mein erstes Spiel seit Jahrzehnten.«
»Und dann auch noch ohne Ton«, sagte Glassic.
Big Sims bestellte noch eine Runde und erzählte Farish von den alten Brooklyn Dodgers. Sims war in Missouri aufgewachsen, und einiges stimmte, anderes nicht. Kein Mensch, der nicht dabei gewesen war, konnte die Dodgers erklären. Der Engländerin machte es nichts aus. Sie sog alles in sich auf, wie durch chemische Absorption, manchmal mit geschlossenen Augen, um den Prozeß zu intensivieren.
»Nick nahm immer sein Radio mit aufs Dach«, sagte Glassic.
Farish fuhr zu mir herum.
»Ich hatte ein Kofferradio, das ich überallhin mitnahm. An den Strand,
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