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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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ins Kino – wo ich hinging, ging es mit. Ich war sechzehn. Und ich hörte mir die Spiele der Dodgers auf dem Dach an. Ich war gern allein. Sie waren meine Mannschaft. Ich war der einzige Dodgers-Fan im ganzen Viertel. Als sie verloren, bin ich innerlich gestorben. Und es war wichtig, allein zu sterben. Andere Leute störten nur. Ich mußte allein zuhören. Und das Radio sagte mir, ob ich leben oder sterben würde.«
    Es ist gar nicht so einfach, beim Baseball den Durchblick zu haben, wenn man nicht mit dem Spiel großgeworden ist, aber die Fragen von Farish waren ganz passabel. Mit den Antworten wurde es schon schwieriger. Wir müssen wie drei Mathematiker gewirkt haben, die so in ihre abgehobene Arbeit verstrickt sind, daß ihnen gar nicht mehr auffällt, wie kurios und unverständlich ihre Terminologie ist, wie doppeldeutig. Wir diskutierten unseren Jargon und versuchten, ihn für die Außenstehende zu entschlüsseln.
    »Will irgendwer ein Glas Wein?« fragte Farish. »Ich hätte nichts gegen einen Weißen aus der Gegend.«
    »Wein ist was für Weicheier«, erklärte ihr Sims. »Wir verdienen unser Geld als Kloputzer.«
    Glassic gab zu bedenken, daß ein Inning ein Inning sei, vom Standpunkt eines Werfers aus, der dreimal Aus gemacht werde, aber nur ein halbes Inning im übergeordneten Zusammenhang eines Spiels mit neun Innings, die jeweils aus einer »gegnerischen« und einer »Heimspiel«-Hälfte bestünden. Und dasselbe halbe Inning könne auch ein Zweidrittel-Inning sein, wenn nämlich der Werfer nach zwei von drei Aus ausgewechselt werde.
    Ich bat den Kellner, unserem Gast ein Glas Wein zu bringen. Glassic vertiefte das Paradox der Innings genüßlich weiter, aber Big Sims brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
    »Kommen wir auf die Dodgers zurück«, sagte er. »Wir haben noch den Kleinen mit seinem Radio auf dem Dach sitzen.«
    »Ach, lassen wir das«, sagte ich.
    »Du mußt Jane erzählen, was deine Karriere als hartgesottener Beifallschreier beendet hat.«
    »Weiß ich gar nicht mehr.«
    »Hat dich so fertig gemacht, daß du nie wieder hin bist.«
    »Das sind ortsgebundene Probleme. Die lassen sich nicht verpflanzen.«
    »Erzähl ihr doch«, sagte Sims, »von Bobby Thomsons Home Run.« Farish schaute höflich-erwartungsvoll drein. Sie wünschte sich, daß ihr endlich jemand etwas Sinnvolles erzählte. Also erzählte ihr Sims von Thomson und Branca und daß die Leute einander über vierzig Jahre später immer noch fragten, Wo warst du eigentlich, als Thomson den »Homer« geschlagen hat? Er erzählte ihr, wie manche von uns diesen Augenblick festgehalten hatten und getreulich unverändert bewahrten, und wie Sims selber durch die Straßen gelaufen war, ein schwarzer Bengel, der nicht mal für die Giants war – er hörte das Spiel auf dem guten alten KMOX- Sender und rannte aus dem Haus und schrie Ich bin Bobby Thomson, Ich bin Bobby Thomson. Und er erzählte Farish, daß es Leute gab, die behaupteten, bei dem Spiel dabeigewesen zu sein, obwohl das gar nicht stimmte, und daß manche allen Ernstes darauf beharrten, weil das Ereignis sie so machtvoll durchdrungen hatte, daß sie fest davon überzeugt waren, an jenem Tag in den Polo Grounds gewesen zu sein, warum ging ihnen die Sache sonst so nah.
    »Sie meinen doch wohl nicht wie bei Kennedy. Nach dem Motto, Wo warst du, als Kennedy erschossen wurde?«
    Glassic sagte: »Als JFK erschossen wurde, gingen die Leute ins Haus. Wir saßen in dunklen Zimmern vorm Fernseher, telefonierten mit Freunden und Verwandten. Wir waren alle voneinander getrennt und allein. Aber als Thomson den Homer schlug, rannten die Leute nach draußen. Sie wollten zusammen sein. Vielleicht war es das letztemal, daß die Menschen einen Grund hatten, spontan aus ihren Häusern zu laufen. Ein Wunder, eine Sensation. Wie eine Fußnote zum Kriegsende. Ich weiß nicht.«
    »Ich auch nicht«, sagte Sims.
    Farish schaute mich an.
    »Schauen Sie mich nicht an«, sagte ich.
    »Aber Sie waren doch auf dem Dach, als der Schlag kam, oder nicht?«
    »Ich brauchte nicht nach draußen zu laufen. Ich war schon draußen. Ich lief nach drinnen. Ich schloß die Tür und starb.«
    »Sie haben Kennedy vorweggenommen«, sagte Farish und erzielte einen kleinen Lacher.
    »Am nächsten Tag, ich glaube, es war der nächste, sah ich plötzlich alle möglichen Zeichen, die auf die Zahl Dreizehn hinwiesen.
    Überall Pech. Ich wurde zu einem kleinen Numerologen. Ich holte mir Stift und Papier und schrieb

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