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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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gibt keinen kleinen Kreis in der Mitte, ins Schwarze treffen geht nicht. Der Kreis ist groß. Ein großer roter Kreis mit einem weißen Rand, dann ein schmalerer gelbbrauner Rand und schließlich ein dünner schwarzer Rand. Will man also die Definition von »ins Schwarze treffen« oder die Definition einer Zielscheibe nicht erweitern, kann man das Logo von Lucky Strikes wohl kaum eine Zielscheibe nennen. Ich nenne es trotzdem so, scheiß auf die Definitionen.
    Marian war davon überzeugt, das sei das Entscheidende, damit sich jemand zu Hause fühlt. Wenn du nicht genug Bügel hinhängst, wird sie glauben, sie sei unerwünscht.
    Meine Firma hatte mit Müll zu tun. Wir waren Müllhändler, Müllverkäufer, Kosmologen des Mülls. Ich fuhr in die Küstenebene von Texas und beobachtete, wie Männer in Mondanzügen Fässer voll Sondermüll in unterirdischen Salzbetten begruben, die Millionen von Jahren alt waren, ausgetrocknete Überreste eines mesozoischen Ozeans. In unserem Gewerbe herrschte die Glaubensüberzeugung, daß aus diesen Lagern im Salzstock keine Strahlung drang. Müll ist etwas Religiöses. Wir sargen Giftmüll mit einem Gefühl von Ehrerbietung und Furcht ein. Wir müssen Respekt haben vor dem, was wir wegwerfen.
    Ich sah einen Mann auf der Via della Spiga vor einer verspiegelten Säule stehen und sein Haar glattstreichen, mit beiden Händen fuhr er sich über die Haare, und so wie er es tat, die Blickrichtung seiner Augen, die leicht narbige Haut, wie beide Hände den Sitz seiner Haare richteten – ich spreche von einer halben Sekunde, irgendwann einmal in Mailand –, das erinnerte mich an tausend Dinge zugleich, vor langer Zeit.
    Die Jesuiten haben mir beigebracht, die Dinge auf Doppelbedeutungen und tiefere Zusammenhänge hin zu untersuchen. Dachten sie dabei an Müll? Wir waren Müllmanager, Müllriesen, wir verarbeiteten Universalmüll. Müll hat heute eine Aura des Feierlichen, einen Aspekt der Unberührbarkeit. Weiße Behälter mit Plutoniummüll, darauf gelbe Warnetiketten. Vorsicht! Selbst der schlichteste Hausmüll wird aufmerksam geprüft. Die Menschen betrachten ihren Abfall heute anders, sehen jede Flasche und jeden zerdrückten Karton im globalen Kontext.
    Mein Sohn glaubte früher, er könne ein Flugzeug in der Luft anschauen und es im Flug zum Explodieren bringen, wenn er nur daran dachte. Mit dreizehn glaubte er, die Grenze zwischen ihm und der Welt sei so dünn und durchlässig, daß er den Lauf der Dinge beeinflussen könne. Ein Flugzeug in der Luft war eine allzu starke Provokation, um sie zu ignorieren. Er beobachtete also ein Flugzeug, wie es nach dem Start in Sky Harbor an Höhe gewann, und er verspürte ein stillschweigendes Element der Katastrophe allein durch die Tatsache, daß dort ein vollbesetztes Flugobjekt in der Luft war. Er war empfänglich für jeden zufälligen Reiz, und er glaubte, er könne fühlen, wie das Objekt selbst sich danach sehnte, einfach zu bersten. Er brauchte sich nur das Brandbild herbeizuwünschen, und schon würde das Flugzeug in Flammen aufgehen und zerschellen. Seine Schwester sagte immer zu ihm, Na los, jag es hoch, das will ich sehen, wie du dieses Flugzeug mit allen zweihundert Leuten an Bord aus der Luft holst, und es erschreckte ihn, jemanden so reden zu hören, und es erschreckte auch sie, denn sie war sich nicht vollkommen sicher, ob er es nicht doch könne. Das ist eine besondere Fähigkeit Heranwachsender, sich das Ende der Welt als Anhängsel der eigenen Unzufriedenheit vorzustellen. Doch Jeff wurde älter und verlor Interesse und Überzeugung. Er verlor das paradoxe Talent, abgesondert und allein zu sein und doch in enger Verbindung, geistig verdrahtet mit fernen Dingen.
    Zu Hause trennten wir unseren Müll in Glas und Dosen und Papierprodukte. Dann trennten wir Weißglas von Buntglas. Dann Blech von Aluminium. Wir sortierten Plastikbehälter aus, mit oder ohne Deckel oder Verschlüsse, nur dienstags. Dann kam Gartenmüll. Dann Zeitungen, inklusive Hochglanzbeilagen, aber wir achteten darauf, die Bündel nicht mit Bindfaden zu verschnüren, was ja immer die große Versuchung ist.
    Der Sinn des Konzerns ist, uns aus uns herauszuholen. Wir organisieren solche Körperschaften, um auf den Markt zu reagieren, allseits offen in die Welt hinauszuschauen. Doch die Dinge neigen dazu, trübe nach innen zu dümpeln. Klatsch, Gerüchte, Beförderungen, Persönlichkeiten, das ist doch nur natürlich, nicht wahr – all die menschlichen Mißgeschicke,

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