Unterwirf dich
selbst.
Vermutlich sollte ich Kate anrufen und ihr sagen, dass die ganze Sache abgeblasen war, dass ich morgen allein nach Hause kommen würde. Es hatte sich herausgestellt, dass nicht alles arrangiert werden kann. Also mussten wir uns miteinander begnügen. Das Leben war hart. Immerhin, wir hatten einander und Sylvie, Stephanie und Randy. Und wen sie sonst noch alles einsammeln würde. Wie Ariel zum Beispiel. Hm … Ariel. Vielleicht könnte Ariel mir helfen, mit dem Rauchen aufzuhören – als Abschreckungsmittel. Das hatte Kate auch schon einmal vorgeschlagen.
Ich hob das zerknitterte weiße Kleid auf und zog es glatt. Vale, Carrie. Bis dann und leb wohl.
Carrie
Ich musste den Brief dreimal schreiben. Im ersten Entwurf gab es zu viele Abschweifungen, die nie auf den Punkt kamen – vielleicht weil ich mir über den Punkt nicht im Klaren war. Zum Schluss strich ich fast alles. Es sollte ganz einfach sein. Und ich habe wahrscheinlich auch nicht mehr so viel Angst vor Einfachheit wie früher.
Nach dem zweiten Entwurf stellte ich fest, dass ich mir die Augen aus dem Kopf geweint hatte und der Brief voller Tränenflecken war. Zum Teil war ich natürlich traurig darüber, ihn zu verlassen, aber zum Teil war ich auch absurd und sentimental gerührt von meinem tapferen Tonfall. Und vielleicht ließ ich jetzt auch einfach all die Tränen voller Wut und Verletzung zu, die ich am Abend zuvor nicht geweint hatte. Sie mischten sich mit den ärgerlichen Tränen über den Liebesbrief, den er geschrieben hatte, ohne es wirklich ernst zu meinen, weil er die Vorstellung, mich zu lieben, lediglich unterhaltsam (oder therapeutisch wertvoll) fand.
Beim dritten Entwurf hielt ich das Gesicht vom Papier abgewandt. Aber ich weinte immer noch. Und ich war von mir selbst enttäuscht: Ich hatte mir vorgestellt, meine Trauer wäre ein bisschen reiner, nicht so ambivalent.
Aber warum sollte sie das sein, dachte ich dann. Nichts an dieser Sache war ganz eindeutig, so oder so. Ich war auch nicht eindeutig tapfer. Tapfer hätte bedeutet, dass ich gegangen wäre, um es allein zu schaffen. So tapfer war ich nicht. Vielleicht haben Sie sich vorgestellt, wie ich seufzend die Schultern straffe, trauriger, aber klüger durch die Erfahrung, und in den Sonnenuntergang gehe. Wie das Mädchen in A Certain Smile , dem ersten Erwachsenenbuch, das ich vollständig auf Französisch gelesen habe. Am Schluss heißt es: »Ich war eine Frau, die einen Mann geliebt hat.« Und so , hatte ich mit zwölfeinhalb gedacht, musste man sich fühlen, wenn man wirklich erwachsen war.
Aber es gab auch andere Wege, erwachsen zu werden, dachte ich jetzt, und auch andere Wege, die Geschichte weiterzuspinnen. Man konnte diese Liebesgeschichten von Männern in der Midlife-Crisis (und Mr. Constant hatte Recht, es war tatsächlich eine alte Geschichte) ganz neu erfinden. So wie Kate es versucht hatte, indem sie ein derart totales und herausforderndes Arrangement ersonnen hatte, dass Jonathan sie nie zu verlassen brauchte und ich nicht die Kraft dazu hätte. Vielleicht würden sie mich gerade in dieser Minute in Kates Salon führen, Jonathan würde im Sessel sitzen, einen Drink in der Hand, und Kate anlächeln. Ich würde vor ihm knien. Ich würde für ihn präsentieren. Bekäme kaum Luft, weil ich so aufgeregt darauf wartete, ihm zeigen zu können, wie gut sie mich trainiert hatte. Ich würde hoffen, dass er sich freute und mich viel besser fand.
Aber das würde nie geschehen. Ich hatte in der letzten Minute eine Klausel entdeckt, die es mir ermöglichte, zu entkommen. Die Klausel, die mein Safe Word enthielt.
Wissen Sie, da war diese andere Geschichte gewesen, die sich – fast wie eine Parenthese – zwischen mein Jahr mit Mr. Constant und diese fünf Tage mit Jonathan geschoben hatte. Ich hatte sie Jonathan nicht erzählt. Beinahe hätte ich es getan, als er mir von dem Hacker erzählte. Und vielleicht hätte ich sie auch erzählt, wenn er gespürt hätte, dass ich ihm etwas verschwieg. Jetzt war ich froh darüber.
Allerdings wäre es mir auch nicht leichtgefallen, ihm diese Geschichte zu erzählen. Es gab einen Helden – jemanden, der sich durch den Informationsdschungel gehackt hatte, um einen unverstellten Blick auf ein Mädchen zu erlangen, das in seinem Turm gefangen war. Und der irgendwie – durch Entschlossenheit, Geduld und Unschuld seines Blicks – den Zauber gebrochen hatte, der sie umfangen hielt.
Dabei mag ich Märchen noch nicht einmal: Schwerter,
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