Untitled
der Schwefelhaufen gefährlich nahe an ihn herangekommen.
»Weg da! Weg da!« rief Camizzi, der offensichtlich wollte, daß der Kunde sich entfernte.
Der verzog sich. Dann geschah alles in Sekundenschnelle. Don Stefano hatte gerade noch Zeit, sich die Brust mit einem Arm zu schützen und sank, von zwei Kugeln getroffen, auf die Knie. Daraufhin warf Cola die Flinte weit weg und kam langsam auf Don Stefano zu, um ihn mit einem Revolverschuß zu erledigen.
Doch er beging einen Fehler. Der Bursche, der vorher geschickt worden war, um zu sehen, wer da geschossen hatte, bemächtigt sich nämlich der leeren Waffe, hält sie am Lauf fest und versetzt dem Mafioso von hinten einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Der wankt und macht sich davon. Don Stefano steht auf, ihm hinterher und feuert ein ganzes Magazin auf ihn ab. Dann kann er nicht mehr, er sinkt hin und verliert das Bewußtsein.
Blutend wird er nach Hause gebracht, der Arzt stellt zwei ernste Verletzungen fest. Eine Kugel hat den Knochen getroffen und die Sehnen der Hand zertrennt, mit der er das Herz geschützt hatte. Die andere hat die Brust durchbohrt und eine Rippe zerschmettert.
Von den beiden Verletzungen ist die an Hand und Arm die schwerere, man spricht sogar von Amputation. Doch die wird nicht nötig sein, allerdings wird Don Stefano aufgrund dieses Schußwechsels einen Finger nicht mehr gebrauchen können.
Beim Anblick der Szene, wie ihr Mann, am Arm von Freunden gestützt, nach Hause zurückgebracht wird und eine breite Blutspur hinter sich läßt, fühlt sich Signora Caterina erstarren.
Ihre Milch versiegt auf der Stelle.
Und so wird Luigino einer Amme anvertraut.
Die Geschichte soll noch zu Ende erzählt werden. Cola Camizzi, der auf Pirandellos Anzeige hin verhaftet worden war, wurde zu sieben Jahren wegen versuchten Mordes verurteilt. Doch als er nach Verbüßung seiner Strafe wieder nach Girgenti zurückkehren wollte, haben »Freunde« ihm geraten, es sei besser für ihn, seine Luft anderswo zu atmen: Don Stefano habe nämlich geschworen, ihn, sobald er ihn sehen würde, zu erschießen. Und Don Stefano galt als ein Mann, der sein Wort hielt. Cola verschwand aus girgentinischem Gebiet und tauchte in den fernen Schwefelminen eines gewissen Di Giovanni unter, und dort, schreibt Nardelli, »ging sein Leben in Düsternis zu Ende«.
Was versteht der kleine Luigi von den Worten der Mutter, als sie ihm die Geschichte seiner Geburt und seiner ersten Annäherung ans Leben erzählt?
Er versteht, daß er ein Siebenmonatskind war, geboren vor seiner Zeit, weil der Vater der Mutter entsetzliche Angst eingejagt hatte.
Er versteht, daß er nicht von seiner Mutter gesäugt werden konnte, weil der Vater ihr noch einmal entsetzliche Angst eingejagt hatte.
Gewiß hat sich im elementaren Mechanismus des Kopfes des Kleinen ein Prinzip von Ursache und Wirkung herausgebildet: jedesmal, wenn der Vater seiner Mutter eine entsetzliche Angst einjagt, widerfährt auch ihm ein Unglück.
Ja, denn der Verlust der Muttermilch stellt ganz sicher eine Behinderung dar: »Großgezogen wird man nicht vom Vater / sondern durch die Brust der Mutter«, sagt ein sizilianisches Sprichwort.
Und er fragt sich möglicherweise, ob die Tatsache, daß der Vater ihn daran gehindert hat, mit dieser Milch groß zu werden, nicht ein Versuch war, ihm, Luigi, eine Familienidentität, eine Zugehörigkeit zu verweigern.
Und so fängt auch er an, vor dem Vater Angst zu bekommen.
Er schreibt, daß er als Kind sogar Schwierigkeiten hatte, mit der Mutter zu kommunizieren, obwohl er ein bewegendes Vertrauen in Worte hatte, und bei meinem Vater kam es mir unmöglich vor, doch nicht etwa, während ich m ich darauf vorbereitete, sondern im Augenblick des Sich-Beweisens, was meistens furchtbar endete.
DER VATER, DIE MUTTER
»Bei den Sizilianern ist das Zusammengehörigkeits
gefühl der Familie stark ausgeprägt. Der Vater übt die absolute, nicht in Frage stehende Herrschaft über sie aus; die Mutter besorgt das Haus, sie legt darin größtes Interesse an den Tag und gebietet über die Kinder, gewissermaßen stellvertretend für den Gatten, dem sie gehorcht und den sie liebt, auch wenn er es nicht verdient hat. An seiner Statt flößt sie den Kindern Liebe und Verehrung für ihn ein, nicht nur, weil er der Vater ist, sondern auch die Stütze des Hauses: ›Ein Haus ohne Mütze / ist schon bald ohne Stütze‹.«
So schreibt Giuseppe Pitrè.
Ein
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