Unwiederbringlich
ihrem Geiste nur erst die rechte Richtung gewiesen ist, von selber ans rechte Ziel.«
Man hatte jetzt den an der anderen Seite der Bucht sich hinziehenden Damm erreicht, auf dem noch, auf eine kurze Strecke hin, die Fahrstraße lief. Unten lag die Stadt, in ihrer Mitte von der Katharinenkirche, darin das Seminar eingebaut war, und am Ausgange von einem alten hochgelegenen Schloßbau, »Schloß Arne«, überragt. Als der Wagen die Dammschrägung nach der Stadt zu hinabfuhr, sagte Schwarzkoppen: »Ein wunderliches Spiel; sind wir doch wie zwei Verschwörer, die nächtlicherweile Pläne schmieden, Pläne, bei denen mir wohl die Rolle zufällt, die eigentlich dem alten Petersen zufallen müßte. Und das um so mehr, als die Gräfin ihn eigentlich schwärmerisch verehrt und nur über den Rationalisten in ihm nicht gut fortkommen kann. Über den Rationalisten! Ein bloßes Wort, und bei Lichte besehen ist es nicht mal so schlimm damit, am wenigsten jetzt. Er ist nun nah an der Grenze der uns hienieden bewilligten Zeit und hat hellere Augen als wir, vielleicht in all und jedem und in Dingen von dieser Welt nun schon ganz gewiß.«
Sechstes Kapitel
Die schönen Herbsttage schienen andauern zu wollen. Auch am anderen Morgen war es wieder hell und sonnig, und das gräfliche Paar nahm das Frühstück im Freien unter der Fronthalle. Julie von Dobschütz mit ihnen. Asta übte nebenan, Axel und der Hauslehrer waren in den Dünen auf Jagd, was die Michaelisferien gestatteten, von denen die Gräfin, wie von Ferien überhaupt, als Regel nicht viel wissen wollte; Ferien in der Stadt und auf Schulen, das habe Sinn, hier draußen aber, wo man in Gottes freier Natur lebe, seien sie mindestens überflüssig. Hieran hielt die Gräfin prinzipiell seit lange fest und lächelte überlegen, wenn der Graf seinen entgegengesetzten Standpunkt verteidigte; gegen die diesjährigen Michaelisferien aber hatte sie, trotz ihrer unveränderten Anschauungen, ausnahmsweise nichts einzuwenden, weil sie den Plan, beide Kinder mit Beginn des Winterkursus in Pension zu geben, noch immer nicht aufgegeben hatte. Da bedeuteten denn die paar Tage nicht viel. Der Graf seinerseits zeigte hinsichtlich der Schul- und Pensionsfrage nach wie vor die von der Gräfin immer wieder beklagte Laschheit; er war nicht eigentlich dagegen, aber er war auch nicht dafür. Jedenfalls bestritt er, daß es irgendwelche Eile damit habe, worauf dann die Gräfin mit einer gewissen Gereiztheit antwortete:
das
gerade könne sie nicht gelten lassen; es sei nicht bloß an der Zeit, es sei sogar höchste Zeit; Asta sei sechzehn, Axel werde fünfzehn, das seien die Jahre, wo der Charakter sich bilde, wo der Kreuzweg käme, wo sich's entscheide nach links oder rechts. »Und ob schwarze oder weiße Schafe«, warf Holk spöttisch ein und griff nach der Zeitung.
Aber gerade diese spöttische Behandlung, die der Gräfin zeigen sollte, daß sie das alles mal wieder viel zu wichtig nähme, steigerte nur ihren Ernst, und so sagte sie denn, ohne auf die Gegenwart der Dobschütz, die ohnehin eine Eingeweihte war, Rücksicht zu nehmen: »Ich bitte dich, Helmuth, verzichte doch endlich darauf, eine ernsthafte Sache ins Scherzhafte zu ziehen. Ich erheitere mich gern...«
»Pardon, Christine, das scheint seit gestern deine Parole.«
»Ich erheitere mich gern«, wiederholte sie, »aber alles zu seiner Zeit. Ich verlange keine Zustimmung von dir, ich verlange nur eine feste Meinung, sie braucht nicht einmal begründet zu sein. Sage, daß du Herrn Strehlke für ausreichend hältst und daß dir Elisabeth Petersen lieber ist als ein ganzes Pensionat junger Damen – ich werde beides nicht glauben, aber ich werde mich unterwerfen und schweigen. Nur freilich nenne das nicht Erziehung...«
»Ach, liebe Christine, das ist nun mal dein Steckenpferd oder eins aus der Reihe davon, und wenn du nicht als Baronesse Arne geboren wärest, so wärest du Basedow oder Pestalozzi geworden und könntest Schwarzkoppen als Seminardirektor ablösen. Oder wohl gar sein Inspizient werden. Erziehung und immer wieder Erziehung. Offen gestanden, ich für meine Person glaube nicht an die Wichtigkeit all dieser Geschichten. Erziehung! Auch da ist das Beste Vorherbestimmung, Gnade. In diesem Stück, so gut lutherisch ich sonst bin, stehe ich zu Calvin. Und falls Calvin dich verdrießt, beiläufig auch eine von deinen höheren Gesinnungskapricen, so laß mich dir einfach das alte Sprichwort sagen: ›Wie man in die Wiege gelegt
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