Unwiederbringlich
bedrückt. Sie weiß das auch, und mitunter, glaub ich, wird ihr selber vor ihrer Vorzüglichkeit bange. Sollen die Kinder aber fort, und ich habe mich darin ergeben, so macht es mir keinen Deut, ob sie nach Gnadau oder nach Gnadenberg oder nach Gnadenfrei kommen, ein bißchen Gnade wird wohl immer dabeisein. Für Asta mag's ohnehin passieren; warum nicht? Und Axel? Nun, meinetwegen auch der; der ist ein Holk, und wenn er vorläufig auch ganz verherrnhutert und Missionar wird und in Grönland vielleicht ein Triennium durchmacht, er wird sich schon wieder erholen.«
Achtzehntes Kapitel
Das Wetter schlug um, und es folgten mehrere Regentage. Die Prinzessin hielt sich zurückgezogen, und flüchtige Begegnungen abgerechnet, sah sie Holk nur abends, wo man, nach einer Partie Whist, den Tee gemeinschaftlich einnahm. In dem Verkehr änderte sich nichts, am wenigsten zwischen Holk und Ebba. Diese wurde vielmehr mit jedem Tage kecker und übermütiger, und als ihr klar war, daß Pentz über die Stockholmer Vorgänge geplaudert haben müsse, machte sie selber Andeutungen nach dieser Seite hin und sprach über Liebesverhältnisse, besonders aber über Liebesverhältnisse bei Hofe, wie wenn das nicht bloß statthafte, sondern geradezu pflichtmäßige Dinge wären. »Es gibt soviel Formen des Lebens«, sagte sie, »man kann Gräfin Aurora Schimmelmann und man kann Ebba Rosenberg sein; ein jedes hat seine Berechtigung, aber man darf nicht beides zugleich sein wollen.« Holk, einigermaßen frappiert, sah sie halb erheitert und halb erschreckt an, Ebba aber fuhr fort: »Es gibt viele Maßstäbe für die Menschen, und einer der besten und sichersten ist, wie sie sich zu Liebesverhältnissen stellen. Da gibt es Personen, die, wenn sie von einem Rendezvous oder einem Billetdoux hören, sofort eine Gänsehaut verspüren; was mich persönlich angeht, so fühl ich mich frei von dieser Schwäche. Was wäre das Leben ohne Liebesverhältnisse? Versumpft, öde, langweilig. Aber verständnis- und liebevoll beobachten, wie sich aus den flüchtigsten Begegnungen und Blicken etwas aufbaut, das dann stärker ist als der Tod – oh, es gibt nur eines, das noch schöner ist, als es zu beobachten, und das ist, es zu durchleben. Ich bedauere jeden, dem der Sinn dafür fehlt oder der, wenn er ihn besitzt, sich nicht offen und freudig dazu bekennt. Wer den Mut einer Meinung hat, wird auch immer ein paar zustimmende Herzen finden, und schließlich genügt es, wenn es eines ist.« Es verging kein Abend, wo nicht derlei Worte fielen, gegen die sich Holk, mit freilich immer schlechterem Erfolg, eine Weile zu wehren suchte. Mit jedem Tage wurd ihm klarer, wie richtig und zutreffend Pentz über die Macht sogenannter pikanter Verhältnisse gesprochen hatte, Verhältnisse, denen etwas hinzuzutun den Weibern oft geratener erscheine, als Abzüge davon zu machen. Ja, Pentz hatte recht, und mit einem ganz eigenen Mischgefühl von Behagen, Ärger und Bangen nahm er mehr und mehr wahr, wie das Fräulein mit ihm spielte. Das sah aber freilich auch die Prinzessin und beschloß, mit Ebba darüber zu sprechen.
»Ebba«, sagte sie, »Holk ist nun vierzehn Tage lang um uns, und ich möchte wohl hören, wie du über ihn denkst. Ich habe Vertrauen zu deinen guten Augen...«
»In Politik?«
»Ach, Schelmin, du weißt, daß mir seine Politik gleichgültig ist, sonst wär er überhaupt nicht in meinem Dienst. Ich meine seinen Charakter, und ich möchte fast hinzusetzen sein Herz.«
»Ich glaube, er hat ein gutes schwaches Herz.«
Die Prinzessin lachte. »Gewiß, das hat er. Aber damit kommen wir nicht weiter. Also sage mir etwas über seinen Charakter. Der Charakter ist wichtiger als das Herz. Es kann jemand ein schwaches Herz haben, aber doch zugleich einen starken Charakter, weil er Grundsätze hat. Und dieser starke Charakter kann ihn dann retten.«
»Dann ist Holk verloren«, lachte Ebba. »Denn ich glaube, sein Charakter ist noch viel schwächer als sein Herz; sein Charakter ist das recht eigentlich Schwache an ihm. Und was das schlimmste ist, er weiß es nicht einmal. Weil er wie ein Mann aussieht, so hält er sich auch dafür. Aber er ist bloß ein schöner Mann, was meist soviel bedeutet wie gar keiner. Alles in allem, er hat nicht die rechte Schule gehabt und seine bescheidenen Talente nicht nach der ihm entsprechenden Seite hin entwickeln können. Er mußte Sammler werden oder Altertumsforscher oder Vorstand eines Asyls für gefallene Mädchen oder auch
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