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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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dann? Haben wir es doch vielleicht an etwas in unserer Liebe fehlen lassen? Oder sehnten sich die Kinder danach, aus dem Widerstreit der Meinungen, davon sie nur allzuoft Zeuge waren, herauszukommen? Ach, lieber Holk, ich hätte diesen Widerstreit gern vermieden, aber es wollte mir nicht gelingen, und so wählte ich das, was ich für das kleinere Übel hielt. Ich mag dadurch manches verscherzt haben, aber ich habe getan, was mir mein Gewissen vorschrieb, und lebe der Überzeugung, daß Du bereit bist, mir dies Zugeständnis zu machen. Meine Reise wird mich nicht länger als fünf oder sechs Tage von Haus fernhalten, und etwa am 20. hoffe ich in Holkenäs zurück zu sein, wo unterdessen meine gute Dobschütz das Regiment führt. Sprich der Prinzessin, die sich meiner so gnädig erinnert, meine Devotion aus, und empfiehl mich Pentz und dem Fräulein v. Rosenberg, wennschon ich Dir bekenne, daß sie meine Sympathien nicht hat. Ich liebe nicht diese freigeistigen Allüren. Ich sehne das neue Jahr herbei, wo ich Dich, vielleicht schon am Silvesterabend, wiederzusehen hoffe. Laß die diesmaligen Kopenhagener Tage Deine letzten in der Hauptstadt sein, wenigstens in
der
Stellung, die Du jetzt darin einnimmst. Wozu diese Dienstlichkeiten, wenn man frei sein kann? In aller Liebe
    Deine Christine«
     
    Holk fühlte sich, als er gelesen, einer gewissen Rührseligkeit hingegeben. Es war so viel Liebes in dem Briefe, daß er alte Zeiten und altes Glück wieder heraufsteigen fühlte. Sie war doch die Beste. Was bedeutete daneben die schöne Brigitte? Ja, was bedeutete daneben selbst Ebba? Ebba war eine Rakete, die man, solange sie stieg, mit einem staunenden »Ah« begleitete, dann aber war's wieder vorbei, schließlich doch alles nur Feuerwerk, alles künstlich; Christine dagegen war wie das einfache Licht des Tages. Und diesem Gefühle hingegeben, überflog er den Brief noch einmal. Aber da schwand es wieder, alle freundlichen Eindrücke waren wieder hin, und was er heraushörte, war nur noch, oder doch sehr vorwiegend, der Ton der Rechthaberei. Und so kamen ihm denn auch die hundertmal gemachten Betrachtungen wieder. »Oh, diese tugendhaften Frauen; immer erhaben und immer im Dienste der Wahrhaftigkeit. Es mag ihnen auch so ums Herze sein. Aber ohne betrügen zu wollen, betrügen sie sich selbst, und nur eines ist gewiß: das Schrecknis ihrer Vorzüglichkeit.«
     
Neunzehntes Kapitel
     
    Vier Wochen waren seitdem vergangen, und Mitte November war heran. Holk hatte sich kopenhagensch eingelebt, nahm teil an dem kleinen und großen Klatsch der Stadt und dachte mitunter nicht ohne Bangen daran, daß in abermals sechs Wochen das eintönige Leben auf Holkenäs wieder in Aussicht stehe. Die Briefe, die von dorther eintrafen, waren nicht geeignet, ihn andren Sinnes zu machen; Christine, seit sie von der Pensionsreise zurück war, schrieb zwar regelmäßiger und unterließ sogar alle verdrießlichen Betrachtungen; aber eine gewisse Nüchternheit blieb und vor allem der doktrinäre Ton, der ihr nun einmal eigen war. Und gerade dieser Ton, mit seiner Beigabe von Unfehlbarkeit, war es, wogegen Holk sich innerlich immer wieder auflehnte. Christine war in allem so sicher; was stand denn aber fest? Nichts, gar nichts, und jedes Gespräch mit der Prinzessin oder gar mit Ebba war nur zu sehr dazu angetan, ihn in dieser Anschauung zu bestärken. Alles war Abkommen auf Zeit, alles jeweiliger Majoritätsbeschluß; Moral, Dogma, Geschmack, alles schwankte, und nur für Christine waren alle Fragen gelöst, nur Christine wußte ganz genau, daß die Prädestinationslehre falsch und zu verwerfen und die kalvinistische Abendmahlsform ein »Affront« sei; sie wußte mit gleicher Bestimmtheit, welche Bücher gelesen und nicht gelesen, welche Menschen und Grundsätze gesucht und nicht gesucht werden müßten, und vor allem wußte sie, wie man Erziehungsfragen zu behandeln habe. Gott, wie klug die Frau war! Und wenn sie dann wirklich einmal zugab, eine Sache nicht zu wissen, so begleitete sie dies Zugeständnis mit einer Miene, die nur zu deutlich ausdrückte: solche Dinge braucht man auch nicht zu wissen.
    In dieser Richtung gingen Holks Betrachtungen, wenn er des Morgens von seinem Fenster aus auf die stille Dronningens-Tvergade herniedersah, die, so still sie war, doch immer noch einen lebhaften Verkehr hatte, verglichen mit der einsamen Fahrstraße, die von Schloß Holkenäs nach Dorf Holkeby hinunterführte. Und wenn er so sann und dachte, dann

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