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haben. Vermutlich auch einen zertrümmerten Schädel. Können Sie mir folgen?«
»Du!« Mit ihrem langen Zeigefinger deutete sie anklagend auf Art. »Du da! Kannst du beim Fahren nicht die Augen aufmachen, du Schwachkopf? Du hättest mich umbringen können!«
Art schüttelte sich das Wasser aus dem Gesicht und blies sich das Dunstwölkchen aus dem trop-fenden Schnurrbart. »Tut mir leid«, sagte er kläglich. Sie hatte einen amerikanischen Akzent, vielleicht war sie Kalifornierin. Und sie hatte eine so scharfe, streitsüchtige Stimme, dass es ihm den 20
Schließmuskel zusammenzog, als hätte man ihm einen Einlauf mit Alaun verpasst. Wundersamer-weise trieb sie ihm jeden Wunsch auf Widerworte aus.
»Es tut dir leid?«, erwiderte sie, während die Portiers sie vorsichtig auf dem schmalen Rasen-streifen neben dem Gehsteig absetzten. »Es tut dir leid? Mein Gott, fällt dir wirklich nichts Besseres ein?«
»Nun ja, eigentlich bist du mir ja vor den Wagen gelaufen«, entgegnete er, um nicht als völliger Schlappschwanz dazustehen.
Sie versuchte sich aufzusetzen, zuckte jedoch sofort vor Schmerz zusammen und sank zurück auf den Rasen. »Du bist zu schnell gefahren!«
»Glaub ich nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nur fünfundvierzig Stundenkilometer gefahren bin – fünf unter der erlaubten Höchstge-schwindigkeit. Wenn wir es genau wissen wollen, können wir natürlich das GPS konsultieren.«
Als er die Beweismöglichkeit erwähnte, schien sie ihr Interesse am Herumstänkern zu verlieren.
»Gib mir mal dein Telefon, ja?«
Es mag ja sein, dass normale Sterbliche mit ihren Apparaten leichtfertig umgehen, aber für einen Stammesangehörigen ist die Beziehung zu seinem Kommunikationsgerät etwas zutiefst Persönliches. Lieber hätte Art jemandem seine Unterwäsche ausgeliehen. Aber er hatte sie nun mal 21
angefahren, also reichte er ihr widerwillig sein Komset.
Die Frau stach mit den Fingern ihrer Linken auf das Gerät ein und kniff im düsteren Licht die Augen zusammen. Schließlich hielt sie es sich an den Kopf. »Johnny? Hier ist Linda. Ja, ich bin immer noch in London. Wie läuft’s bei euch? Ah, freut mich zu hören. Wie geht’s Marybeth? Oh, das ist aber wirklich schade. Willst du wissen, wie’s mir geht?« Sie grinste hinterhältig. »Ich bin gerade von einem Auto angefahren worden. Nein, eben erst. Vor fünf Minuten. Selbstverständlich bin ich verletzt! Ich glaube, meine Hüfte ist gebrochen –
vielleicht auch das Rückgrat. Ja, ich kann mit den Zehen wackeln. Vielleicht ist ein Wirbel gebrochen und die Knochensplitter durchsäbeln mir gerade das Rückenmark. Eine Gehirnerschütterung? Ja, ziemlich sicher. Schmerz, Kummer, Verlust der Le-bensfreude, entgangene Einkünfte …« Sie blickte zu Art auf. »Du bist doch hoffentlich versichert, oder?«
Art nickte kleinlaut und suchte nach einer Ent-gegnung, doch ihm fiel keine ein.
»Locker eine halbe Million, dürfte keine Probleme geben. Mach die Unterlagen fertig, ja? Ich ruf dich an, wenn der Krankenwagen eintrifft. Tschüss.
Ja, ich hab dich auch lieb. Bis dann, mach’s gut, Johnny. Ich muss jetzt auflegen. Tschö!« Nach einem letzten Küsschen durchs Telefon warf sie 22
Art das Komset zu. Voller Panik fing er es auf, klappte überaus vorsichtig den Deckel zu und verstaute es wieder in der Jackentasche.
»Komm her!« Sie winkte ihn mit dem Zeigefinger zu sich. Er kniete sich neben sie.
»Ich bin Linda.« Sie schüttelte ihm die Hand und zog sie danach an ihre Brust.
»Art.«
»Also Art, ich mach dir einen Vorschlag. Keiner von uns beiden war schuld, einverstanden? Es war dunkel, du hast die vorgeschriebene Geschwindig-keit eingehalten und ich hab die Straße vorsichtig überquert. Es war nur ein Zusammentreffen un-glücklicher Umstände. Aber du hast mich wirklich angefahren. Deine Versicherung wird schon was abdrücken müssen – Schmerzensgeld, Reha, du weißt schon. Das könnte richtig Ärger geben.
Wenn du mitspielst, machen wir halbe-halbe.«
Art sah sie verwirrt an.
»Art. Art. Art. Ich sag dir was, Art. Vielleicht hat dich etwas abgelenkt. Du warst in Gedanken, hast gerade nicht hingesehen. Ich behaupte ja nicht, dass es wirklich so war, aber so könnte es gewesen sein. Vielleicht war’s so, und falls ja, wird mein Anwalt es aus dir herausquetschen. Er wird dich an die Wand nageln und ich kriege einen großen, dicken Scheck. Andererseits könntest du natürlich auch, du weißt schon, Entgegenkommen
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