Urban Gothic (German Edition)
hocke nicht hier rum und warte darauf, ausgeraubt zu werden. Hast du schon mal rausgeguckt? Hier sieht’s aus wie in Bagdad.«
Kerri rieb sich die Schläfen. Hinter ihren Augen kündigten sich Kopfschmerzen an. »Bitte, Steph, nur ein paar Minuten. Wenn du jetzt anrufst, wird Tyler nur noch stinkiger.«
»Mir doch egal.«
»Ich weiß, aber du bist nicht diejenige, die sich mit ihm rumschlagen muss, wenn er wütend wird. Bitte. Tu’s für mich.«
Stephanie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, warum du dir die Scheiße gefallen lässt. Würde Brett mich so behandeln, hätte ich ihn längst abserviert.«
»Brett lässt sich von dir alles gefallen. Schon seit der Mittelstufe. Er ist ein Schwächling.«
»Vielleicht. Aber er ist süß, und er behandelt mich so, wie es mir zusteht. Er respektiert mich. Wie gesagt, ich hab echt keine Ahnung, warum du dir Tyler antust. Der respektiert nichts und niemanden. Nicht mal sich selbst.«
»Lange brauche ichʼs ja nicht mehr auszuhalten. Sobald ich in Rutgers bin, ändert sich sowieso alles. Wir werden uns auseinanderleben.«
»Warum machst du dann nicht sofort mit ihm Schluss?«
Kerri zögerte einen Moment, bevor sie antwortete. »Weil mir was an ihm liegt und ich ihm nicht wehtun will. Ich hab Angst davor, was er sonst tut.«
»Was er dir antut?«
»Nein. Nicht mir. Sich selbst.«
Stephanie erwiderte nichts. Stattdessen schloss sie leise ihr Handy und stopfte es zurück in die Handtasche.
Kerri murmelte: »Ich glaube, Tyler mag sich selbst nicht besonders.«
»Ach was, wirklich?« Stephanies Tonfall troff vor Sarkasmus. »Wie kommst du denn da drauf?«
»Für dich ist alles ganz einfach. Die hübsche, kleine Stephanie, die alles bekommt, was sie will. Manche von uns haben es nicht so leicht, Steph. Ich dachte, du bist meine beste Freundin. Diese Scheiße brauch ich echt nicht von dir. Erst machst du Heather die Hölle heiß, weil sie auf Brett rumhackt, und dann versuchst du dasselbe bei mir?«
Mit finsterer Miene öffnete Kerri die Beifahrertür und stieg aus. Stephanie rannte hinter ihr her und entschuldigte sich. Sie gingen zu den anderen, die sich um die offene Motorhaube drängten. Die Jungs starrten konzentriert auf den Motor. Aus dem Kühler stieg Dampf auf. Der Motor selbst roch nach Öl und Frostschutzmittel. Heather rauchte eine Zigarette. Kerri schnorrte sich eine von ihr. Stephanie gab einen angewiderten Laut von sich, als Kerri den Glimmstängel anzündete.
Tyler hob den Kopf und sah sie an. »Hab ich nicht gesagt, ihr sollt im Wagen bleiben? Hört denn nie jemand auf mich?«
»Da drin ist es heiß.« Stephanie legte den Kopf in den Nacken. »Soll ich meine Eltern anrufen? Die sind beim Automobilclub.«
»Nein.« Tyler richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Motor. »Wir bekommen das alleine hin.«
»Bisher machst du das ja ganz großartig.«
Tylers Finger schlossen sich um den Kühlergrill des Autos und umklammerten ihn krampfhaft. Sowohl Kerri als auch Brett gaben Stephanie ein Zeichen, den Mund zu halten. Vom Motor stieg weiterer Qualm in die Luft.
Obwohl die Sonne bereits untergegangen war, herrschte immer noch eine schier unerträgliche Hitze, die in Wellen vom Bürgersteig und vom rissigen Asphalt der Straße auszugehen schien. Die Luft fühlte sich wie klebriger, feuchter Dunst an. Kerri zupfte an ihrer Bluse. Nach dem Schwitzen beim Konzert und durch die Hitze hier auf der Straße klebte der Stoff an ihrer Haut. Sie zog erneut an ihrer Zigarette, aber durch die extreme Luftfeuchtigkeit fühlte es sich an, als inhalierte sie Suppe. Sie nahm Kochgeruch wahr. Benzin. Pisse. Alkohol. Verbrannten Gummi. Heißen Asphalt. Stephanies Parfüm. Eine Übelkeit erregende Mischung.
Kerri hustete, atmete durch den Mund, sah sich um und begutachtete nervös ihre Umgebung. Sie hatte den Begriff ›städtische Verödung‹ schon gehört, ihn jedoch nie richtig begriffen – bis zu diesem Zeitpunkt. Die meisten Straßenlaternen funktionierten nicht und die wenigen, die es taten, hüllten die Gegend in einen hässlichen gelblichen Schimmer. Zusammen mit dem Mondlicht ergab es eine unheimliche Atmosphäre.
Rings um sie standen heruntergekommene Häuser. Keines davon sah einladend aus. In der Düsternis wirkten die niedrigen Gebäude wie Monolithen – endlose schwarze Mauern, die von Verwahrlosung zeugten. Hinter schmutzigen Vorhängen oder zerbrochenen Fensterscheiben – einige davon mit Plastikfolie abgedeckt oder mit dreckigen Lumpen
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