Urbi et Orbi
geworden, er hätte die Erneuerung der Kirche verworfen und den Rückzug in eine geheiligte Vergangenheit angekündigt. Die Kirche konnte und sollte eine Macht der Veränderung werden. Es würde keine hilflosen Klagen mehr geben, die von den Gestaltern der Weltpolitik einfach überhört wurden. Vielmehr würde er den religiösen Eifer der Gläubigen politisch wirksam einsetzen. Und er, als Vikar Christi, würde die Richtlinien dieser Politik vorgeben. Er wollte nicht irgendein, sondern der Papst sein.
Langsam zählte er die Kapseln auf dem Tisch.
Achtundzwanzig.
Wenn er sie schluckte, würde man sich seiner als des Papstes erinnern, der nur vier Tage im Amt war. Man würde ihn als einen gefallenen Führer betrachten, den der Herr viel zu rasch zu sich gerufen hatte. Ein plötzlicher Tod mochte aber auch seine Vorteile haben. Johannes Paul I. war ein unbedeutender Kardinal gewesen. Jetzt wurde er verehrt, weil er nur dreiunddreißig Tage nach dem Konklave verstorben war. Eine Hand voll Päpste war noch kürzer im Amt gewesen, die meisten jedoch viel länger, aber keiner war je zu der Entscheidung getrieben worden, vor der er jetzt stand.
Er dachte über Ambrosis Verrat nach. Er hätte Paolo niemals für so illoyal gehalten. Sie waren viele Jahre lang ein Team gewesen. Vielleicht hatten Ngovi und Michener seinen alten Freund ja unterschätzt. Vielleicht würde Ambrosi Valendreas Vermächtnis wahren und dafür sorgen, dass die Welt Petrus II. niemals vergaß. Valendrea konnte nur hoffen, dass er Recht hatte und dass Ngovi seine Entscheidung, Paolo Ambrosi entkommen zu lassen, eines Tages bereuen würde.
Sein Blick kehrte zu den Tabletten zurück. Wenigstens würde er schmerzlos sterben. Ngovi würde dafür sorgen, dass es keine Autopsie gab. Der Afrikaner war noch immer Camerlengo. Valendrea konnte sich gut vorstellen, wie der Drecksack über ihm stehen, ihm sanft mit dem Silberhammer gegen die Stirn schlagen und ihn drei Mal fragen würde, ob er tot sei.
Er war überzeugt, dass Ngovi ihn öffentlich anklagen würde, wenn er am nächsten Morgen noch am Leben war. Es gab zwar keinen Präzedenzfall für die Amtsenthebung eines Papstes, doch sobald man ihn des Mordes anklagte, wäre es ihm unmöglich, im Amt zu bleiben.
Das konfrontierte ihn mit seiner größten Sorge.
Wenn er Ngovis und Micheners Aufforderung folgte, würde er sich schon bald für seine Sünden verantworten müssen. Was würde er dann sagen?
Der Beweis der Existenz Gottes bedeutete gleichzeitig, dass es tatsächlich eine unfassbare, böse Macht gab, die das Denken und Fühlen der Menschen in die Irre führte. Das Leben war wie ein endloses Tauziehen zwischen guten und bösen Kräften. Wie sollte er da seine Sünden rechtfertigen? Würde er Vergebung finden oder gnadenlos bestraft werden? Trotz allem, was er inzwischen wusste, war er immer noch überzeugt davon, dass nur Männer Priester sein sollten. Gottes Kirche war von Männern gegründet worden, und zwei Jahrtausende lang hatte n M änner ihr Blut vergossen, um diese Institution zu bewahren. Das Eindringen von Frauen in etwas so entschieden Männliches kam ihm wie ein Sakrileg vor. Ehefrauen und Kinder lenkten einen Mann nur ab. Auch die Ermordung eines Ungeborenen war für Valendrea ein Tabu. Es war die Pflicht der Frau zu gebären, unabhängig davon, wie es zur Schwangerschaft gekommen und ob das Kind gewollt oder ungewollt war. Wie konnte Gott dermaßen falsch liegen?
Er schob die Tabletten auf dem Tisch herum.
Die Kirche würde sich verändern. Nichts würde bleiben, wie es war. Ngovi würde mit Sicherheit extreme Positionen einnehmen. Bei diesem Gedanken wurde es Valendrea fast schlecht.
Er wusste, was ihn erwartete. Er würde sich rechtfertigen müssen, doch davor schreckte er nicht zurück. Er würde dem Herrgott ins Gesicht sehen und ihm sagen, dass er getan hatte, was er für richtig hielt. Wenn er in die Hölle käme, hätte er wenigstens sittenstrenge Gesellschaft. Er war nicht der erste Papst, der dem Himmel getrotzt hatte.
Er schob die Tabletten zu Siebenergruppen zusammen. Die ersten sieben hob er auf und legte sie auf die ausgestreckte Handfläche.
In den letzten Lebensminuten sah man wirklich klarer.
Sein irdisches Vermächtnis war gesichert. Er war Petrus II . Papst der Heiligen Katholischen Kirche, und das konnte ihm keiner mehr nehmen. Selbst Ngovi und Michener würden sein Andenken öffentlich ehren müssen.
Diese Aussicht tröstete ihn.
Er schob sich die Tabletten
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