Urbi et Orbi
in den Mund und griff nach dem Wasserglas. Dann nahm er die nächsten sieben und schluckte sie ebenfalls. Mit diesem Gefühl der inneren Stärke spülte er die restlichen Tabletten herunter.
Ich hoffe, dass Sie nicht den Schneid haben, es Clemens nachzutun.
Michener, du Drecksack.
Er trat zu einem vergoldeten Betschemel vor einem Bildnis Jesu, kniete sich nieder, bekreuzigte sich und bat den Herrn um Vergebung. Zehn Minuten kniete er so, dann wurde ihm schwindlig. Für seinen Nachruhm konnte es nur gut sein, wenn Gott ihn beim Gebet zu sich rief.
Eine verführerische Müdigkeit überkam ihn, doch eine Zeit lang kämpfte er dagegen an. Zum Teil war er erleichtert, dass man ihn nicht mit einer Kirche in Verbindung bringen würde, die allem, was er glaubte, entgegenstand. Vielleicht war es das Beste, wenn er als der letzte Papst der guten alten Zeit in der Krypta des Petersdoms ruhte. Er stellte sich vor, wie die Römer sich morgen auf dem Petersplatz drängen würden, verzweifelt über den Verlust ihres Santissimo Padre . Millionen würden seine Bestattung verfolgen, und die Presse würde weltweit respektvoll über Petrus II. berichten. Vielleicht würden irgendwann Bücher über ihn geschrieben werden. Er hoffte, dass die Traditionalisten sein Andenken nutzen würden, um sich zum Widerstand gegen Ngovi zu sammeln. Und außerdem war da noch Ambrosi. Der gute, liebe Paolo. Er war immer noch da. Dieser Gedanke gefiel Valendrea.
Die Augen fielen ihm zu, und er konnte sich nicht mehr gegen seine Schläfrigkeit wehren. So ergab er sich ins Unvermeidliche und brach auf dem Boden zusammen.
Er sah zur Decke hinauf und überließ sich endlich der Wirkung der Tabletten. Es flimmerte vor seinen Augen. Er kämpfte nicht mehr gegen das Sterben an.
Er ließ seine Gedanken los und hoffte nur noch auf Gottes Barmherzigkeit.
71
Sonntag, 3. Dezember
13.00 Uhr
M ichener und Katerina folgten den Scharen von Trauernden auf den Petersplatz. Rundum ließen Männer und Frauen ungehemmt ihren Tränen freien Lauf. Viele hielten Rosenkränze umklammert. Die Glocken der Basilika läuteten feierlich.
Vor zwei Stunden war in den üblichen vatikanischen Formulierungen bekannt gegeben worden, dass der Heilige Vater in der Nacht verstorben sei. Der Camerlengo, Maurice Kardinal Ngovi, sei gerufen worden, und der Leibarzt des Papstes habe Tod durch Herzinfarkt festgestellt. Es folgte die Zeremonie mit dem Silberhammer, und dann wurde die Sedisvakanz erklärt. Wieder wurden die Kardinäle nach Rom gerufen.
Michener hatte Katerina nichts von dem Gespräch mit Valendrea erzählt. Es war besser so. In gewisser Weise war er ein Mörder, auch wenn er sich nicht so fühlte. Vielmehr hatte er das Empfinden, dass der Gerechtigkeit Genüge getan war. Insbesondere in Hinblick auf Hochwürden Tibor. In einem merkwürdigen Sinne von ausgleichender Gerechtigkeit, der nur auf dem Hintergrund der ungewöhnlichen Umstände der letzten Wochen zu erklären war, hatte ein Unrecht ein anderes wieder gutgemacht.
In fünfzehn Tagen würde erneut ein Konklave zusammentreten, um einen neuen Papst zu wählen. Der zweihundertneunundsechzigste Papst seit Petrus und damit der erste, der nicht in der Liste des Malachius aufgeführt war. Der schreckliche Richter hatte gerichtet. Die Sünder waren bestraft worden. Nun lag es an Maurice Ngovi, dafür zu sorgen, dass der Wille des Herrn geschah. Es bestanden kaum Zweifel, dass Ngovi zum Papst gewählt würde. Als sie gestern den Palast verlassen hatten, hatte Ngovi Michener gebeten, in Rom zu bleiben und teilzuhaben an der Zukunft der Kirche. Doch Michener hatte abgelehnt. Er würde mit Katerina nach Rumänien gehen. Er wollte sein Leben mit ihr teilen, und Ngovi verstand ihn, wünschte ihm Glück und erklärte, dass der Vatikan ihm immer offen stehe.
Die Menschenmenge drängte weiter und füllte den Platz zwischen Berninis Kolonnaden. Michener war sich nicht sicher, warum er eigentlich gekommen war, aber etwas schien ihn zu rufen, und er fühlte einen inneren Frieden, den er schon lange nicht mehr empfunden hatte.
»Diese Leute haben keine Ahnung von Valendrea«, flüsterte Katerina.
»Für sie war er ihr Papst. Ein Italiener. Und wir könnten sie niemals vom Gegenteil überzeugen. Sie werden sein Andenken in Ehren halten, und so muss es wohl sein.«
»Du wirst mir nie erzählen, was gestern passiert ist, oder?«
Am Vorabend hatte er bemerkt, dass sie ihn nachdenklich betrachtete. Sie wusste, dass mit Valendrea
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