Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Februar gehaltenen Vortrag durchgesehen habe – erinnere mich, eines Tages in einem Warenhaus einen weißen Koffer aus Kunstleder, einen mit Reißverschluß zu halbierenden oder besser zu öffnenden, etwas lappigen, ziemlich eleganten bis extravaganten Koffer erstanden zu haben, der mir einen neuen Status (des Welteroberers?) und ein neues Aufbruchsgefühl vermittelte und mit der Zeit etwas schmuddelig wurde. Wichtig war die Farbe, ein Weiß wie die Flanke eines Schiffs, eine Hochstaplerfarbe, sage ich heute. Mit dem Koffer hatte ich an Agilität und Ungebundenheit gewonnen. An Leichtsinn. Ich meine mich zu erinnern, daß eine damals nicht eben weit zurückliegende Kofferanschaffung, wohl aus der ersten Ehezeit, ein steifes eckiges Ding aus hellem gräulich-bräunlichen Fibermaterial war, den ich in Bern im Ausverkauf gefunden und für gut befunden hatte. Im Unterschied zu diesem unverwüstlichen ehrbaren Objekt war die römische Anschaffung die Option fürs Herumziehen und Unterbringungen in dubiosen Lotterlebensabsteigen. So etwas.
Später in Zürich kommt der edle, ebenfalls mit Reißverschluß versehene Kalbslederkoffer in Kleinformat hinzu, ein Luxusobjekt in Hungertagen. Danach der in einem Laden für lost property in London aufgestöberte Dienstmädchenlederkoffer, der als Manuskriptenfutteral dienen sollte und allerlei Einfettungs- und Instandhaltungsdienste erforderte. Doch damals war ich bereits ein Herumtreiber, will sagen Schriftsteller und Zugvogel. Derlei Attribute spielten eine Rolle in meinem Poetenleben; wie die Mäntel, Regenmäntel.
Und hatte ich nicht das angefangene, in der winzigen Bleibe »In Gassen« Nr. 7, Nähe Bahnhofstraße Zürich, betriebene Projekt, das sich heute als ein Vorläufer vom Jahr der Liebe herausstellt, »Das Zimmer oder der Koffer« und ein in Serrazzano entstandenes Prosastück »Bericht aus dem Koffer und durch das Fenster« übertitelt? Jedenfalls erinnere ich mich deutlich, daß mir der weiße Kunstlederkoffer mit dem schnieken Reißverschluß ein tolles Leichtigkeits- und Weltläufigkeitsgefühl vermittelte. Die Unabhängigkeit meinte noch nicht wirklich die Schreibexistenz, eher eine Herumtreiberallüre. Ich glaube, es handelte sich um ein Hurenköfferchen, so etwas. Und von da zum meiner harrenden Unternehmen »Reise zurück zum Kuckucksnest«, das ich neuerdings eher unter dem Buchtitel DER KOFFER zu ahnen meine. Der Koffer als Existenzbehälter, wenn nicht als zuckendes HERZ. Mein Herz.
Übrigens stelle ich fest, daß ich mit dem Attribut Koffer zwischen »Salve Maria« und »Kuckucksnest« hin und her zappe. Es scheint, die beiden Bücher seien miteinander verhängt. Wir werden sehen.
9. November 2000, Paris
Das neue Atelier, 14, Rue André Barsacq auf der Butte Monmartre ist allmählich, nach Odiles Betreibungen in Sachen baulicher Sanierung (wieder einmal mehr ein Leidensweg mit unfähigen, unzuverlässigen Arbeitern eines großmäuligen Kleinunternehmers), operationell, wie man hier sagt. Es gibt noch ein paar klempnerische Verbesserungen, und dann sind wir soweit, wobei das Ding ja noch überhaupt nicht uns gehört. Der Kauf soll im Januar über die Bühne gehen, sofern wir bis dahin das noch fehlende Geld aufbringen. Jedenfalls ist es für mich nicht nur eine neue und diesmal definitive Arbeitsunterkunft, eine schöne wie noch nie, sondern in meinen Augen oder gefühlsmäßig eine Art Ausquartierung, ein echtes Zweitdomizil.
Diesmal ist mir im Zusammenhang mit dem Begriff der Ausquartierung etwas bange, alters- und todeshalber; und einsamkeitsfürchtig. Und damit im Zusammenhang muß ich auf zwei Träume zu sprechen kommen.
Eine Art Herberge, eine weitläufige, mit Restauration und Schlafbaracken oder Chalets versehene Station auf dem Lande, für Durchzügler – in der Stimmung eher ein Lager oder eine Poststation zum Pferdewechseln aus russischen Romanen (im Unterschied zu einem Ferienhotel). Es gibt ein Geläufe von Leuten, darunter auch meine Kinder in ihrem heutigen Alter, aber auch meine früheren Frauen, bestimmt ist Brigitte da, sie unterhält sich mit mir in einem vertrauten und leicht spöttischen Ton, ich bin ja nicht eben salonfähig, ich bin in Unterkleidern, einigermaßen aufgelöst und dennoch in Anspruch genommen durch Auseinandersetzungen mit den Kindern und anderen, ein Gemisch aus Panik und Aufbruchsbereitschaft, Ungeduld erfüllt mich – und das Bewußtsein meiner mich exponierenden Vernachlässigung im Habitus. Die
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