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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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ich nur auf Abruf unterwegs und nie wieder frei war oder werden würde. Das war mein Verhängnis. Und den Traum nenne ich den Traum vom Verhängnis.
     
    Ich hatte die Nacht in leichter Panik verbracht, Unseld hatte es abgelehnt, mir einen Besuchstermin einzuräumen, wie Burgel Zeeh mich per Fax wissen ließ. Und auf die Aussprache mit Unseld hatte ich gesetzt, es war wichtig. Zudem war ich in Panik, weil ich den Nachmittag im neuen Atelier fruchtlos verbracht hatte, ich komme einfach zu keinem Einstieg ins neue Buch, und die Zeit vergeht und der Abgabetermin hinfällig. Ich komme nicht über die Mauer meiner Barrikaden, könnte ich sagen, bleibe in einer inneren Wirrnis stecken. Angst- und Schuldgefühle. Das Urteil meiner Ohnmacht definitiv gesprochen? Verzweiflung. Am Morgen war ich jedoch nicht mehr so ganz niedergeschlagen, gleich liefen mögliche Strategien, um zu einem Gespräch mit Unseld zu gelangen, in mir ab. Ich übte mich innerlich in diesen Strategien und rief Burgel Zeeh an, nun in einer ganz anderen Tonart, und dann hatte ich auch Unseld am Telefon und auch einen Termin.

    27. November 2000, Paris
     
    Angst
     
    Neulich ging mir auf, mit wie wenig literarischen Leuten ich hier in Paris in der überlangen Zeit Kontakt aufgenommen habe. Ich bin etwelchen begegnet, vor allem natürlich Kritikern, aber im Grunde habe ich wenig Umgang. Ich halte mich aus dem Literaturbetrieb heraus, ich melde mich nie zu Wort, ich existiere nur, wenn ich ein Buch publiziere und Interviews gebe oder wenn Anfragen von Zeitschriftenleuten auf mich zukommen, Einladungen zur Partizipation. So mit Derivière seit unserer République Nizon , dieser Kollaboration. Ich dachte, existiere ich überhaupt als Schriftsteller? Ich denke daran, wenn ich bei der Zeitungslektüre auf die Kolumnen eines Sollers stoße und mir Rechenschaft darüber gebe, wie knietief so einer im kulturellen Leben hierzulande verstrickt ist oder, anders gesagt, wie sehr er Kulturpolitik macht. Sogar Handke hat mehr Umgang als ich, er entdeckt und übersetzt französische Kollegen, im übrigen greift er immer wieder skandalös ins öffentliche Gespräch ein. Bei mir Selbstgenügsamkeit oder Schamhaltung, ich weiß auch nicht. Wenn ich nicht wenigstens meine Vorträge hielte so wie neulich am Metropolenkongreß in Bonn und in München und am Convegno an der Uni in Rom über die deutschen Rombücher von Gewicht; und wenn ich nicht über Leute, die über mich arbeiten wie Doris Krockauer in Aachen, Karen König in Berlin und Projekte wie den Materialienband Nr. 2 der Uni Aachen ab und zu aus dem Busch gelockt würde (nicht zu vergessen den Fernsehfilm von Bütler), so könnte ich mich als verschollen erklären.
    Natürlich hängt es mit der Altersschicht zusammen, ich gehöre zu den mehr oder weniger abgesegneten Alten, das Heft nehmen heute die Jungen in die Hand, so wie ich es auch in jüngeren Jahren in Zürich mit dem Almanach und Diskurs und derlei Öffentlichkeitsarbeit und Initiativen gemacht habe. Das Altsein mit dem uneingestandenen inneren Terror des Abgeschriebenseins macht mir offenbar sogar bis ins Schreiben hinein zu schaffen, ich ertappe mich beim Gedanken, wie meine Thematik innerhalb der Szene der neuen Generation ankommen wird, das ist absolut neu, bei Hund habe ich daran überhaupt nicht gedacht.
    Samstag abend, als ich allein zu Hause war, weil die eben angekommene Odile mit Freundinnen ausgegangen und Igor über Nacht bei Agnès, das heißt bei deren Söhnchen Quentin untergebracht war, kam ich mir richtiggehend abgestellt vor wie ein Möbel, ich lief dann durch den Regen ins Kino und las mich danach in meiner Gottverlassenheit in den Schlaf mit dem Vorgeschmack des definitiven Ausrangiertseins, ich dachte, wenn jetzt sowohl Unseld wie Bertrand Py, die beiden Verleger, auf meine Tastversuche negativ reagiert, nämlich uninteressiert abgewinkt hätten, also auch den finanziellen Hahn abgedreht hätten – es geht bei Actes Sud um die Übernahme der Auslandrechte und die kommenden Journale und bei Suhrkamp um einen Vorschuß –, dann wäre die Katastrophe da. Ich sah mich an allen Fronten kaltgestellt, an der Liebes-, der Produktions-, der Einkommens- und der Anerkennungs- bzw. Erfolgsfront, Panik. Aus der Zeit, aus der Welt, aus dem Leben gefallen. Eine Wiederholung der Einsamkeit und der Abgeschriebenheitsparalyse meiner ersten Zeit in Paris, nur daß damals natürlich noch die besten Mannesjahre objektiv ins Feld geführt werden konnten,

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