Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Krieg unvermeidlich wurde. Wenn durch Worte so viel auszurichten ist – warum läßt es sich nicht durch Worte verhindern? Es ist gar nicht zu verwundern, daß jemand, der mehr als andere mit Worten umgeht, von ihrer Wirkung auch mehr erwartet als andere.« Der Anspruch, aus dem Sprach-Kunstwerk das Leben selbst hervorzutreiben, scheint so hoch und absurd wie der Wille, »für alles in Worten Faßbare einzustehen und dessen Versagen selbst zu büßen«. Zwei verrückte Dichter? Nein, zwei Geistesverwandte, die, obwohl ganz verschiedenen »Schreibfamilien« angehörend, wie Nizon betont, Das Gewissen der Worte – so ist der Essayband Canettis überschrieben – ernst nehmen! Beide sind »Sprachjäger« (Nizon), die sich schöpferisch und existentiell abarbeiten bzw. abgearbeitet haben im Bemühen um eine Sprachwirklichkeit, die, wie es Nizon in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen formulierte, »alles zum Leben Gehörige aus sich heraus erzeugt; diese Dimension der sprachkünstlerischen Verwandlung«. In die archaischen, historischen, mythischen, semantischen und ästhetischen Elemente der Worte einzutauchen, um sie wieder gefügig zu machen für die Darstellung unserer Existenz in der Komplexität der Zusammenhänge, dorthin zu gelangen, wo Sprache wieder auf Leben stößt, das Leben hervorbringt, und sei es, wie bei Nizon, das eigene – ein sich schreibendes Leben! Eine sich lebende Schrift! Das ist die Aufgabe der Dichter. Daran hat Elias Canetti gearbeitet, daran arbeitet Paul Nizon bis heute.
Wend Kässens
Chronologie zur Biographie
1929
Am 19. Dezember in Bern geboren
Der Vater, ein Chemiker, Forscher und Erfinder, aus Riga in die Schweiz emigriert. Die Mutter Bernerin. Jugend und Schulbesuch in Bern. Ursprünglicher Berufswunsch: Schriftsteller
Als Gymnasiast Ferienaufenthalte in Paris. Reisen nach Venedig, Genua, Florenz
Frühzeitige Hinwendung zur Kunst als »Schule des Sehens«
1949/51
»Zwei Lehr- und Wanderjahre«. Früher Ausbruch: Reise nach Kalabrien. Brotarbeiten für den Rundfunk
1951
Beginn des Studiums der Kunstgeschichte, Archäologie und deutschen Literaturgeschichte in Bern
Nebenarbeit als Werkstudent
1952
Übersiedlung nach München. Studium (Sedlmayr, Buschor)
1953
Heirat in München, Rückkehr nach Bern. Halbtagsassistenz am Berner Kunstmuseum
1954
Geburt des Sohnes Valentin
1955/56
Aufenthalt im Spessart, als Klausur für Ausarbeitung einer Dissertation über Vincent van Gogh. Reise nach Holland
1956
Geburt der Tochter Valérie
1957
Studienabschluß mit Promotion zum Dr. phil. (Dissertation: Die Anfänge Vincent van Goghs. Der Zeichnungsstil der holländischen Zeit )
Anstellung als Assistent am Bernischen Historischen Museum (bis 1959)
Berner Kunstkorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung
Auseinandersetzung mit der Avantgarde
Entstehung von Die gleitenden Plätze
1959
Der Kurzprosaband Die gleitenden Plätze erscheint
1960
Als Mitglied des Schweizer Instituts in Rom
Endgültiger Beschluß, Schriftsteller zu werden
Bekanntschaft mit Max Frisch
1961
Ruf an die Neue Zürcher Zeitung als Leiter der Kunstkritikredaktion
Übersiedlung nach Zürich. Als Journalist mehrmals in Paris, bei der Biennale in Venedig und vor allem in Barcelona (s. Untertauchen ). Aufgabe des Redaktionsamtes nach acht Monaten
Erste Pläne für Canto
1962
Canto entsteht (Verarbeitung des Rom-Aufenthalts)
Als Gast der Gruppe 47 in Berlin: Erfolg mit einer Lesung aus Canto
1963
Canto erscheint
Niederschrift einer Biographie Johannes Ittens, die nach seinem Tode infolge des Einspruchs der Witwe nicht erscheint (ein Fragment daraus später in Diskurs in der Enge )
Gast der Gruppe 47 in Saulgau
Geburt des Sohnes Boris Kasimir
1964
Beginn der Arbeit an dem Projekt Haus und Schiff (endgültiger Titel: Im Hause enden die Geschichten )
Wiederaufnahme der Kunstkritikertätigkeit (bis 1971), unter anderem für Die Weltwoche und Zürcher Woche
Aus diesen Arbeiten entstehen die Bücher Lebensfreude in Werken großer Meister (1969), Friedrich Kuhn – Hungerkünstler und Palmenhändler (1969), Diskurs in der Enge. Aufsätze zur Schweizer Kunst (1970) und Swiss made. Portraits, Hommages, Curricula (1971). Bekanntschaft mit Elias Canetti
Preis des Kantons Bern, Ehrengabe der Stadt Zürich
1967
Werkjahr der Stiftung Pro Helvetia
1967/72
Zahlreiche Auslandsaufenthalte zum Schreiben: unter anderem London, Paris, Italien
1969/70
Gastdozent an der Architekturabteilung der Eidgenössischen Technischen
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