Urlaub mit Papa
habt ja nur zwei Schlafräume. Aber das geht schon. Ich bin froh, dass ihr kommt, du kannst mir morgens in der Pension helfen und Dorothea kann die Handwerker becircen.«
Wir legten auf und ich sah mich auf einer Pritsche im Wohnzimmer liegen, während mein Vater auf dem Bildschirmtext die HSV-Ergebnisse suchte.
Wunderbar, dachte ich, Hubert kann sich warm anziehen.
List/Sylt, den 10.Juni
Liebe Christine,
ich habe jetzt meinen Krankenhauskoffer gepackt, man braucht ja doch eine ganze Menge Zeug für zwei Wochen. Ich habe mir erst mal sechs neue Nachthemden gekauft, ganz schick, so mit Ringeln und eins mit Herzen, sehr süß. Aber Agnes, Du weißt, aus dem Süderhörn, das dritte Haus von links, die hat letztes Jahr auch ein neues Knie bekommen und sagt, man braucht ab dem dritten Tag sowieso nur noch Jogging-Anzüge. Na ist egal, ich glaube, die passen Dir auch, ich trage ja eigentlich keine Nachthemden. Du kannst sie ja mitnehmen, wenn du das nächste Mal auf Sylt bist.
So, zum eigentlichen Thema: Ich habe Papa gesagt,
dass er Marleen helfen soll, nicht den ganzen Tag, aber so ein, zwei Stunden vielleicht. Du weißt ja, wie er ist, wenn er nichts zu tun hat. Irgendwas findet ihr schon für ihn. Denk dran, dass er nicht schwer heben soll, seine Hüfte ist ja nicht in Ordnung und auf Leitern steigen kann er auch nicht, da wird ihm schwindelig. Wenn er mit anstreichen soll, sieh dir die Farbeimer an, Du weißt, er kann keine Farben unterscheiden. Er hat übrigens die Gästetoilette letzte Woche türkis gestrichen, er dachte, es wäre graublau, aber man gewöhnt sich dran. Hoffe ich wenigstens. Sei nicht gleich ungeduldig, wenn er sich mal irrt, er meint es nur gut und ist immer so empfindlich.
Einmal am Tag muss er warm essen, er kriegt schnell Sodbrennen, also nichts Scharfes, wenig Salz und keinen Kohl. Fett auch nicht. Auf keinen Fall Milch- oder Mehlspeisen, dann muss er spucken. Er traut sich nur nie, etwas zu sagen. Nachmittags hat er gern Kaffee und Kuchen. Nur keine Torte und nichts mit Kirschen. Und Kaffee nur ohne Koffein. Falls es Tee gibt, nur Früchtetee, nach schwarzem schläft er schlecht.
Sei so lieb und sieh ihn Dir an, bevor er das Haus verlässt, er sieht die Farben nicht und hat auch nicht so richtig viel Geschmack, nicht dass er losläuft wie ein Hottentotte. Das fällt ja dann irgendwie auch auf mich zurück.
Er geht so gern spazieren, wenn Ihr keine Zeit habt, soll er ein Handy mitnehmen und es anmachen, so besonders gut ist seine Orientierung in fremden Orten nicht. Und er fragt nicht gern Fremde. Habe ich irgendetwas vergessen?
Ich glaube, das war alles. Er hat sich mit Kalli verabredet, vielleicht kannst Du ihn da hinfahren, ich weiß nicht, ob er überhaupt die Adresse hat. Dein Vater ist ja pflegeleicht, wenigstens muss er keine Medikamente nehmen, höchstens mal eine Kompensan gegen Sodbrennen.
Also, ich wünsche Euch ganz schöne Ferien, pass ein bisschen auf Deinen Vater auf, er war noch nie allein im Urlaub. Wird schon schiefgehen.
Liebe Grüsse,
Mama
Ich faltete den Brief wieder zusammen und atmete tief durch. Ich trage nie Nachthemden und ich begann, mich vor meinen Ferien zu fürchten.
Es fährt ein Zug nach Nirgendwo
– Christian Anders –
Eine Woche später stand ich am Hamburger Hauptbahnhof und sah auf den Bahnsteig 12 a, an dem in 40Minuten der Intercity aus Westerland einfahren sollte. Ich hatte mich links neben der Rolltreppe, die zum Bahnsteig hinabführte, postiert, genauso, wie ich es meinem Vater in unserem Telefonat erklärt hatte.
»Wenn du aus dem Zug ausgestiegen bist, gehst du nach rechts, Richtung Wandelhalle. Da ist nur eine Rolltreppe, auf der fährst du hoch, und oben, von dir aus gesehen rechts, stehe ich und warte.«
»Ja, ja, ich finde dich schon, ich bin ja nicht senil. Was ich einfach nicht begreife ist, dass ich für dieselbe Strecke, also Westerland– Hamburg, dauernd verschiedene Preise bezahlen soll. Mit der Regionalbahn wäre ich viel billiger gefahren.«
»Papa! Du wolltest nicht in Elmshorn umsteigen, außerdem hast du dich beschwert, dass die Nord-Ostsee-Bahn immer Verspätung hat.«
»Hat sie auch. Bei viel Verspätung kriegt man einen Gutschein. Ich frage dich, was soll ich mit einem Gutschein? Ist doch Quatsch.«
»Jetzt kommst du ja mit dem Intercity. Also, gute Fahrt und bis morgen dann.«
»Sei pünktlich, ich hasse es, lange zu warten. Bei dem Wucherpreis wird der Zug ja keine Verspätung
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