Urlaub mit Papa
haben.«
Sicherheitshalber war ich eine Stunde früher losgefahren, eigentlich brauchte ich für die Strecke nur zehn Minuten. Aber ich hatte Angst, dass ein Unfall, ein Stau, eine Polizeikontrolle oder Parkplatzmangel gleich zu Beginn zum Chaos führen würde, das käme noch früh genug. Nachdem ich siebenmal die Runde um den Bahnhofsvorplatz gedreht hatte, erwischte ich den ersten Parkplatz direkt neben dem Eingang. Der Himmel war mit mir, mein Vater mochte keine langen Wege.
Noch 35Minuten.
Mein Vater verreist nicht gern. Das ist untertrieben. Er mag keine fremden Orte. Das ist auch noch untertrieben. Er hasst es, Sylt zu verlassen. Nicht nur die Insel, sondern auch sein Bett, seinen Platz am Esstisch, seine morgendliche Runde zum Hafen, um Zeitungen zu kaufen, seine Nachbarn, seinen Garten, sein Sofa. Er mag keine zusammengelegten Hemden aus dem Koffer, keine Handtücher und Bettwäsche, die fremde Menschen vor ihm benutzt hatten, er isst nur, was er kennt, und weigert sich, seinen gewohnten Tagesablauf zu verändern. Ich wusste nicht, wie meine Mutter es schaffte, ihn wenigstens einmal im Jahr von der Insel wegzubewegen, vor allen Dingen wusste ich nicht, was sie ihm alles versprochen und erzählt hatte, dass er jetzt im Zug saß. Und eigentlich wollte ich es auch gar nicht wissen.
Noch 25Minuten.
Mein Hals fühlte sich ausgetrocknet an. Wenn ich nervös bin, bekomme ich immer stechenden Durst. Hinter mir war ein Stand mit Würstchen und Getränken. Ich kaufte mir eine Dose Cola, nicht weil ich sie gern trinke, sondern, weil mein Vater sie uns früher verboten hatte. Er hatte mir als Kind die gesundheitsschädliche Wirkung demonstriert, indem er über Nacht ein Gummibärchen in Cola einweichte. Am nächsten Morgen dümpelte ein deformiertes Weingummiteil im Glas, das er mir triumphierend zeigte. »Und genauso sieht dein Bauch hinterher von innen aus. Außerdem macht Cola dumm.« Ich habe ihm lange geglaubt. Mit einem rebellischen Gefühl zerdrückte ich die leere Coladose und warf sie in den Mülleimer. Natürlich nicht in den, neben dem ich stand. Man konnte ja nie wissen.
Noch 10Minuten.
Als ich wieder auf meinem Posten stand, spürte ich meine Blase. Es war schwachsinnig gewesen, Cola zu trinken, mein konditionierter Körper wollte sie sofort wieder loswerden. Die Toilette war am Ende des Bahnsteigs. Ich müsste hinlaufen, vermutlich wären alle Kabinen besetzt, ich hätte Wartezeit, dann wieder zurück, es könnte knapp werden. Ich hielt an.
Noch 3Minuten.
Während ich von einem Fuß auf den anderen trat, hörte ich die Durchsage: »Achtung, auf Gleis 12a. Der Intercity 373 ›Theodor Storm‹ von Westerland mit Weiterfahrt nach Bremen, planmäßige Abfahrt 13Uhr 42, hat voraussichtlich zehn Minuten Verspätung.«
Ich hatte es geahnt. Meine Blase verstärkte ihren Druck. Ich stellte mir vor, wie mein Vater nach einem kurzen suchenden Blick umgehend in den nächsten Zug zurück Richtung Norden steigen würde, hörte den Satz: »Christine war nicht da«, und sah den Blick meiner Mutter. Ich hielt weiter an.
Dann fuhr der Zug ein. Er hielt quietschend und zischend, die Türen klappten auf, die ersten Reisenden stiegen aus. In der Mitte des Bahnsteigs entdeckte ich ihn. Er trug seine rote Windjacke, Jeans und eine blaue Schirmmütze. Ich sah, wie er seinen riesigen Koffer aus dem Zug wuchtete und ihn einen Meter neben der Bahnsteigkante abstellte. Ich begann zu winken, es war überflüssig. Mein Vater verschwendete keinen Blick an seine Umwelt. Er nahm seinen Rucksack vor die Brust und setzte sich auf seinen Koffer, das Gesicht genau in meine Gegenrichtung. Ich bahnte mir einen Weg durch die mir entgegenkommenden Menschen und blieb kurzatmig vor ihm stehen. Er sah zu mir hoch.
Augen wie Terence Hill, dachte ich.
»Wie soll man sich in dem Gewühle hier finden?« Seine Stimme klang beleidigt.
Und benimmt sich wie Rantanplan.
»Hallo Papa, ich habe es dir doch erklärt, du gehst nach rechts, Richtung Wandelhalle, die Rolltreppe hoch und oben rechts von dir stehe ich.«
»Das höre ich jetzt zum ersten Mal.« Er stand auf und klopfte seine Hose ab. »Hast du das mitgekriegt? Der Zug hatte schon wieder Verspätung. Weißt du, ab wann man diese Gutscheine bekommt?«
Ich wollte ihm seinen Rucksack abnehmen, er hielt ihn fest.
»Den nehme ich selbst, danke. Ab wie viel Verspätung kriegt man denn jetzt den Gutschein?«
»Nicht nach nur zehn Minuten. Gib mir bitte den Rucksack, ich kann doch auch was
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