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Vaclav und Lena

Vaclav und Lena

Titel: Vaclav und Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haley Tanner
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dem Markt herum, und sie stieß mit einem Jungen zusammen. Wirklich, sie war damit beschäftigt gewesen, die blinde alte Frau anzustarren, die gekochte Eier aus einem Eimer verkaufte, sie war nämlich so entsetzt, dass jemand Eier kaufen würde, welche die alte Frau mit ihren knotigen schmutzigen Fingern berührt hatte, dass sie in diesen Jungen hineinlief. Sie fiel hin, und genau in |115| diesem Augenblick kam ein Pferdekarren vorbei, und der fuhr ihr beinahe über den Kopf und hätte ihn fast wie eine Melone zerquetscht. Aber der Junge packte sie an der Hand und zog sie zu sich und rettete ihr so das Leben. Natürlich wurde sie in seinen Armen ohnmächtig.
    Als die Prinzessin aufwachte, kniete der Junge über ihr, sein Gesicht berührte fast ihre Nase, und sie hatte einen Augenblick Angst vor ihm, und im nächsten Augenblick fragte sie sich, wie er wohl hieß, und dann wollte sie alles über ihn wissen und hatte Angst, dass er für immer weggehen würde und sie ihn verlieren könnte. Sie hatte sich in ihn verliebt, außerdem hatte er ihr das Leben gerettet. Er war bereits in sie verliebt, weil sie eine Prinzessin war, auch wenn er nicht wusste, dass sie eine Prinzessin war. So ist das immer mit Prinzessinnen, Jungen lieben sie einfach so.
    Als Nächstes taten die Prinzessin und der Junge das, was alle tun, wenn sie sich verlieben. Sie setzten sich an irgendeinem schäbigen Ort auf umgedrehte Eimer, in einer zugigen Gasse am Markt oder sonst wo, und es kümmerte sie nicht, dass sie hungrig waren und durstig und müde und dass ihre Mütter sich vielleicht fragen würden, wo sie steckten. Sie tauschten sich über alles aus, was sie wussten, über alles, was ihnen gefiel, und alles, was sie nicht mochten, über alle ihre Lieblingsfarben und Lieblingsbücher und welche Art von Regen sie am liebsten hatten, Sprühregen oder einen Wolkenbruch.
    Und dann sagte die Prinzessin dem Jungen, dass sie eine Prinzessin war, und er gestand ihr, was sie schon an seiner zerlumpten Kleidung erkannt hatte, nämlich dass er ein Bauer war.
    |116| Sie sagte ihm, und die Tränen liefen ihr dabei aus den Augen, dass sie zurück auf ihr Schloss müsse.
    Sie sagte ihm, und ihr Magen verknotete sich dabei, dass sie einander nicht mehr sehen könnten, dass ihr Vater, der ein böser alter König war, es nicht erlauben würde.
    Er sagte ihr, keine Angst, wir können zusammen weglaufen.
    Sie war verwirrt, weil sie ihn liebte, aber ihr gefiel es auch, eine Prinzessin zu sein, und sie liebte ihre Mutter und ihre Geschwister, und sie hatte nie woanders als auf ihrem Schloss gelebt, und sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich für alle Zeit weglaufen wollte.
    Er sagte ihr, sie solle darüber in Ruhe nachdenken.
    Er sagte ihr, dass er jede Nacht, einhundert Nächte lang, draußen unter ihrem Fenster am Schloss stehen und auf sie warten werde und dass sie beide, wenn sie in einer der einhundert Nächte herauskäme, zusammen weglaufen würden. Wenn sie aber nach einhundert Nächten des Wartens nicht herauskäme, werde ihm das Antwort genug sein, und er werde sie in Frieden lassen.
    Sie ging zurück auf ihr Schloss. In dieser Nacht wartete er unter ihrem Fenster.
    Sie kam nicht.
    In der nächsten Nacht wartete er unter ihrem Fenster.
    Sie kam nicht.
    Jede Nacht, neunundneunzig Nächte, wartete er, wie eine Wanze lauernd, unter ihrem Fenster, und sie kam nicht.
    In der einhundertsten Nacht, der letzten Nacht, wartete er nicht draußen unter ihrem Fenster, weil er es nicht ertragen konnte, zu erfahren, dass die Prinzessin nie sein werden würde, |117| dass sie ihn nicht genug liebte, nicht so sehr wie er sie. Vielleicht, dachte er, ist es besser, ich erfahre es nicht.
    In dieser einhundertsten Nacht, der Nacht, in der er nicht draußen unter ihrem Fenster wartete   …«
    Rasia wird beim Erzählen ihrer Geschichte unterbrochen, weil Lena unter ihrer Bettdecke kräftig schnarcht. Sie war so vertieft in ihr Geschichtenerzählen, dass sie nicht bemerkt hatte, dass Lena bereits eingeschlafen war, und so wird sie von dem Schnarchen überrascht.
    Rasia erzählt die Geschichte an diesem Abend nicht mehr zu Ende, aber sie hat sie schon früher erzählt. Lena weiß, wie sie endet.
    Manchmal weiß Rasia genau, was zu tun ist, und manchmal nicht
    Rasia sitzt mehrere Minuten da und beobachtet die schlafende Lena. Sie beobachtet, wie sich ihr Rücken hebt und senkt, beobachtet, wie ihr Mund die kleinen Baby-Bewegungen macht, an die sich unsere Münder nur erinnern,

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