Vaclav und Lena
mit ihrer Bikini-Besessenheit Schlimmes zustoßen könnte. Vaclav denkt wieder, ein Bikini, der zwei Teile hat und kein |109| Mittelstück, ist nichts für Lena, aber sie hat sich in die Idee verliebt.
»Lena, üben wir zuerst, bevor wir uns über die Kostüme für die Aufführung Gedanken machen«, sagt Vaclav, und Lena stimmt zu, doch nur, weil sie ihre Liste schon fertig hat und mit dem Plan zufrieden ist.
Vaclav und Lena beginnen mit dem Münze-Verschwinden-Lassen-Trick, wobei Vaclav kommentiert und das geduldige, faszinierte Publikum anweist, hierhin zu schauen und dort aufzupassen. Lena assistiert und konzentriert sich darauf, ihre Handgelenke perfekt abzuwinkeln, um die Aufmerksamkeit an die richtige Stelle zu lenken.
Die Zaubershow soll geheim bleiben. Sie entscheiden, dass sie die Zauberkiste zum Verschwinden in Vaclavs Zimmer bauen und in Vaclavs Wandschrank verstecken könnten. Dann müssen sie diese nur noch aus dem Haus tragen, wenn Rasia nicht hinschaut. Lena ist mit diesem Plan einverstanden, weil Heather Holliday in der
Coney Island Sideshow
bei einer ihrer Darbietungen in einer Kiste verschwindet. Und Lena möchte in jeder Hinsicht wie Heather Holliday sein.
Vaclav und Lena proben bis tief in die Nacht, denn Rasia ist glücklicherweise vor dem Fernseher eingeschlafen und lässt ihnen so bis fast zehn Uhr freies Spiel.
»Lena, deine Tante hat angerufen und mich gebeten, dich heimzubringen«, sagt Rasia.
|110| Wenn Lena zu Bett geht
Vaclav weiß, dass seine Mutter lügt, und Lena weiß es, und natürlich weiß es auch Rasia, denn sie erzählt ja die Lüge, aber jeder tut so, als hätte Lenas Tante wirklich angerufen. Und sie sind gut im Vortäuschen, denn sie machen das jeden Abend.
Lena packt ihren Rucksack und ist froh, ihre Hausaufgaben für den nächsten Tag vollständig und zu hundert Prozent richtig einpacken zu können. Sie bindet sich die Schuhe, und Rasia schlüpft in ihre Halbschuhe. Dann brechen Rasia und Lena auf. An der ersten Straßenkreuzung nimmt Rasia Lena bei der Hand, nur zur Sicherheit beim Überqueren der Straße, aber dann lässt sie Lenas Hand auf dem Rest des Weges nicht mehr los.
An jedem Abend, an dem Yekaterina Lena wieder nicht abholt, jedes Mal, wenn Yekaterina erkennen lässt, wie verantwortungslos, unzuverlässig und lieblos sie ist, fühlt sich Rasia beruhigt. Sie hat damit das Recht, Lena so lieb zu haben, wie sie es tut, und sie hat Lena sehr lieb.
Lena steigt die Treppen einzeln hinauf, langsam, damit Rasia mit ihr Schritt halten kann. Sie öffnet die Außentür und hält sie Rasia auf, die ihrerseits die große schwere Eingangstür öffnet. Dann betritt Lena die dunkle Wohnung. Rasia kommt hinter ihr herein, murmelt etwas von sich vergewissern, dass Lena in Sicherheit, niemand im Haus und alles okay sei. Seit sie Lena nach Hause bringt, murmelt sie diese Worte jeden Abend.
Heute Abend knipst Lena am Eingang das Licht an, und Rasia kann sehen, dass das Durcheinander überall noch dasselbe ist wie gestern.
|111| Rasia wartet eine Minute, während Lena in das Zimmer geht, in dem sie schläft. Für Rasia ist das nie im Leben ein Schlafzimmer, sondern lediglich ein Raum, in dem Lena schläft. Denn das Zimmer ist für ein kleines Mädchen nicht angemessen eingerichtet, jedenfalls nicht in der Art und Weise, wie Rasia ein Kinderzimmer gestaltet hätte, wenn Vaclav ein Mädchen gewesen wäre.
Rasia wartet auf die Geräusche, mit denen Lena sich fürs Schlafen vorbereitet, und die sind:
das Geräusch, mit dem Lena Schubladen aufzieht und schließt,
das Geräusch, mit dem Lena die Matratze von der Wand umkippt, an die sie angelehnt ist,
das zischende Geräusch von entweichender Luft, wenn die Matratze auf den Fußboden plumpst.
Sobald Rasia all diese Geräusche gehört hat, kommt sie in das Zimmer, in dem Lena schläft. Während Lena wartend auf dem Bett sitzt, geht sie, ohne etwas zu sagen, in die Ecke und holt die verschlissene, filzige Bettdecke mit der seidig glänzenden Umrandung. Sie ist pfirsichfarben und hat gelbe Flecken.
»So«, sagt Rasia, »jetzt machen wir das Bett.« Seit dem allerersten Abend, als sie Lena heimgebracht hat, jenem Tag, an dem Lena Vaclav kennengelernt und den goldenen Fransenbikini von Heather Holliday gesehen hat, sagt sie das.
Rasia steht über der Matratze und hält die Decke an zwei Enden. Rasch hebt sie ihre Arme nach oben, schüttelt die Bettdecke über Lenas Körper aus und lässt sie dann weich über das ganze Bett
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