Vaclav und Lena
wenn wir schlafen. Sie hat immer das Bedürfnis, Vaclav zu beobachten, wenn er schläft, und sie weiß, dass es niemand anderen gibt, der für Lena dasselbe fühlt.
Nachdem sie die schlafende Lena etliche Minuten beobachtet hat, steht sie sachte auf, geht zur Tür und löscht das Licht.
|118| In der Küche schwirren um das Geschirr im Spülbecken winzige Fruchtfliegen. Sie denkt an Lena, die vielleicht mitten in der Nacht aufwacht und Wasser trinken möchte und keinen sauberen Becher findet und der es nicht einmal gelingt, sich ein Glas mit Wasser zu füllen. Unter der Spüle entdeckt sie eine Flasche Ajax, in der sich noch ein gelber Spritzer befindet. Sie pickt alte Zigarettenstummel aus dem Abfluss, wirft sie weg und wischt die Spüle ab, bis sie glänzt.
Auf der Arbeitsplatte neben dem Spülbecken steht ein Abtropfgestell, und in seinen Ecken und Rillen zeigen sich kleine schwarze Schimmelflecken. Rasia säubert das Abtropfgestell, bis der Schimmel verschwunden ist.
Schließlich füllt sie das Waschbecken mit heißem Seifenwasser und spült das ganze Geschirr.
Als die Teller trocken sind, findet sich nichts, wo man sie hinstellen kann, weil die Böden in den Küchenschränken staubig und klebrig sind und voller Ränder von ausgelaufenen Flüssigkeiten, also wischt Rasia mit ihrem feuchten Schwammtuch alle Schränke aus.
Die Küche ist sauber (nicht so sauber wie ihre eigene, aber schon viel besser), doch wenn Lena mitten in der Nacht aufsteht, könnte sie auf dem Weg zur Küche vielleicht über die Kleidungsstücke auf dem Boden stolpern. Sie könnte stolpern und sich das Knie am Couchtisch anschlagen. Sie könnte einen der Aschenbecher umstoßen, die überquellen von Zigarettenstummeln und Streichhölzern und Kaugummi. Sie könnte auf einen der Pizzakartons auf dem Boden treten, voller verschimmelter Käsepizzastückchen.
Lena könnte, wenn sie verschlafen in die Küche läuft, auf |119| eine der leeren Wodkaflaschen treten, die auf dem Boden herumliegen.
Rasia leert die Aschenbecher, sie bringt die Flaschen hinaus zu der blauen Recyclingtonne auf dem Bürgersteig, sie trägt die Pizzakartons zum Abfall. Sie spült die Aschenbecher. Sie wirft die Fast-Food-Trinkbecher weg, die sich auf dem Tisch türmen, die Verpackungshüllen von Hamburgern, die Cokelight-Büchsen.
Sie nimmt ein Bündel Kleider vom Boden auf, die Yekaterina gehören, Kleider, die nach Parfum und Rauch riechen. Sie geht durch die offene Tür von Yekaterinas Zimmer auf der Suche nach einem Wäschekorb. Sie knipst das Licht mit einer Hand an.
Sie sucht bloß nach einem Wäschekorb.
Es gibt keinen Wäschekorb. Sie schaut sich genauer um, sicher ist sicher.
Auf dem Nachttisch, direkt neben der nackten Matratze, liegen Löffel und Silberfolie und Strohhalme, aber nirgends steht ein Wäschekorb. Es gibt winzige Gefrierbeutel, aber keinen Wäschekorb.
Es sieht aus wie im Wohnzimmer, nur liegt noch mehr Müll herum, Büchsen und Flaschen und Abfall, aber kein Wäschekorb.
Es gibt Haarspraydosen, Verpackungen aller Art, aber Rasia wird diesen Raum nicht saubermachen, auf keinen Fall. Dieses Zimmer liegt nicht auf Lenas Weg in die Küche, um Wasser zu holen.
Auf dem Heimweg zu ihrem Sohn und ihrem Mann denkt Rasia wie schon so oft gründlich über Lena nach. Sie denkt über |120| Lenas und Vaclavs seltsames Verhalten nach, und sie denkt über Yekaterina nach.
Rasia ist kein Dummkopf, sie kennt sich aus in der Welt. Sie weiß, was diese Löffel, die Silberfolie und die Strohhalme zu bedeuten haben.
Sie weiß nicht, was sie tun soll. Oleg sagt, sie solle sich um ihren eigenen Kram kümmern. Sie weiß nicht, was sie tun soll.
Der Ägyptische Sarkophag des Geheimnisses
In der Schule verbringt Lena ihre ganze Zeit mit ihren neuen Freundinnen und ignoriert Vaclav. Nach der Schule und hinter verschlossenen Türen proben Vaclav und Lena jeden Tag in den erschlichenen Stunden zwischen Hausaufgaben und Schlafenszeit ihre Zaubervorführung. Vaclav macht Lenas Hausaufgaben so schnell wie möglich. Er arbeitet sich wie besessen durch die ungekürzten Divisionen und verfasst wie am Fließband Abschnitt um Abschnitt in perfektem Lena-Englisch. Er möchte sichergehen, dass sie Zeit haben, um alles immer wieder zu wiederholen. Sowohl Vaclav als auch Lena denken ständig an ihre Zaubervorführung. Sie denken beim Aufwachen daran, unter der Dusche, wenn der Lehrer sie morgens aufruft, um ihre Anwesenheit zu überprüfen, in der Pause, während der |121|
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