Vaeter und Soehne
drückte … Sie sah ihn an und stand wie versteinert. Er war noch bleicher als zuvor, seine Augen funkelten, und was noch überraschender war, eine einzige schwere Träne rollte langsam über seine Wange.
»Fenitschka,« sagte er mit dumpfer und erstickter Stimme, »lieben Sie, lieben Sie meinen Bruder! Er ist so gut, und so wert, geliebt zu werden! Geben Sie ihn für niemand in der Welt hin, und hören Sie auf niemandes Einflüsterungen. Nichts ist schrecklicher, glauben Sie mir, als unerwiderte Liebe! Bleiben Sie meinem armen Nikolaus treu!«
Fenitschka hörte auf zu weinen; sie war so verwundert, daß sich ihre Angst verlor. Wie wurde ihr aber erst zumute, als Paul ihre Hand ergriff und sie an seine Augen drückte, sie wieder ergriff und, ohne sie zu küssen, unter krampfhaftem Schluchzen zum Munde führte …
»Großer Gott!« dachte sie, »er bekommt am Ende einen Anfall!«
Sie ahnte nicht, daß in diesem Augenblick die ganze Vergangenheit in Paul Petrowitschs Herzen schmerzlich wieder auflebte. Die Stufen der Treppe knarrten unter raschen Schritten … Er stieß Fenitschka weit von sich und legte den Kopf aufs Sofakissen. Die Tür ging auf, und Kirsanoff trat ein, freudestrahlend, mit frischem und belebtem Antlitz. Mitia, ebenso frisch und blühend rot wie er, hüpfte im Hemdchen auf seinem Arm und stemmte die nackten Füßchen gegen die großen Rockknöpfe seines Vaters.
Fenitschka stürzte sich Kirsanoff entgegen, und ihn und ihren Sohn heftig in ihre Arme schließend, lehnte sie das Haupt an seine Schulter. Kirsanoff schien überrascht; Fenitschka, scheu und zurückhaltend, wie sie war, erlaubte sich sonst in Gegenwart eines Dritten nicht die mindeste Liebkosung.
»Was hast du?« fragte er sie und übergab, nachdem er seinen Bruder angesehen, das Kind seiner Mutter. – »Du fühlst dich doch nicht schlechter?« setzte er hinzu, näher zu Paul tretend.
Dieser verbarg das Gesicht in seinem Batisttuch.
»Nein, gar nicht … im Gegenteil … ich befinde mich viel besser.«
»Du hättest dein Bett nicht verlassen sollen,« sagte Kirsanoff. »Wo gehst du hin?« fuhr er, gegen Fenitschka gewendet, fort; diese aber hatte die Tür bereits hinter sich zugezogen.
»Ich kam, um dir meinen kleinen Schlingel zu zeigen, er war es müde, seinen Onkel nicht zu sehen. Warum hat sie ihn fortgenommen? Aber was hast du denn? Ist etwas zwischen euch vorgefallen?«
»Bruder!« sagte Paul Petrowitsch in feierlichem Ton.
Kirsanoff zitterte. Er empfand ein Gefühl von Furcht, worüber er sich nicht Rechenschaft zu geben vermochte.
»Bruder!« wiederholte Paul, »versprich mir, die Bitte zu erfüllen, die ich an dich richten werde!«
»Was willst du, Paul?«
»Etwas sehr Wichtiges; dein ganzes Lebensglück hängt davon ab. Ich habe seit einiger Zeit oft über das nachgedacht, was ich dir zu sagen im Begriff bin … Bruder, erfülle deine Pflicht, die Pflicht des Ehrenmannes, mach dem unordentlichen, anstößigen Verhältnis, in dem du lebst, ein Ende, du, der beste der Männer!«
»Was soll das heißen, Paul?«
»Heirate Fenitschka … Sie liebt dich, sie ist die Mutter deines Sohnes.« Kirsanoff fuhr einen Schritt zurück und schlug die Hände zusammen.
»Du gibst mir diesen Rat, Paul! Du, den ich für den unversöhnlichsten Feind solcher Heiraten ansah! Du gibst mir diesen Rat! Aber wenn ich bis jetzt nicht erfüllt habe, was du mit Recht die heiligste der Pflichten nennst, so geschah es einzig mit Rücksicht auf dich!«
»Ich bedaure, daß du die Rücksicht auf mich so weit getrieben hast,« antwortete Paul mit traurigem Lächeln. – »Ich fange an zu glauben, daß Bazaroff recht hatte, mich einen Aristokraten zu heißen. Ja, mein lieber Bruder, es ist Zeit, daß wir aufhören, immer nur im Hinblick auf die Welt zu handeln; wir sind schon alt, und das Leben hat uns bescheiden gemacht; laß uns all den eiteln Firlefanz beiseitewerfen. Laß uns, wie du ganz richtig gesagt, unsere Pflicht erfüllen, und es ist höchst wahrscheinlich, daß wir das Glück noch obendrein in den Kauf bekommen.«
Kirsanoff umarmte seinen Bruder stürmisch.
»Du hast mir die Augen vollends geöffnet!« rief er aus. »Ich habe dich immer für den besten und einsichtigsten der Männer gehalten; ich sehe jetzt, daß du zudem ebenso weise als großherzig bist.«
»Sachte! sachte!« erwiderte Paul Petrowitsch. »Schone das Bein deines großherzigen Bruders, der sich mit seinen fünfundvierzig Jahren eben noch duelliert hat wie ein
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