Vaeter und Soehne
»Hm« antwortete, da er aber im gleichen Augenblick einen Fünfundzwanzigrubelschein in seine Hand gleiten fühlte, fügte er hinzu: »In der Tat! Das ist ein Fall, der sehr häufig vorkommt.« Im ganzen Haus war niemand, der sich zu Bett legte oder die Augen schloß.
Kirsanoff schlich jeden Augenblick auf den Zehen in das Zimmer seines Bruders und verließ es ebenso wieder. Der Verwundete schlummerte auf Augenblicke ein, stieß leise Seufzer aus, sagte seinem Bruder: »Geh doch zu Bett«, und verlangte zu trinken. Kirsanoff hieß Fenitschka einmal ihm ein Glas Limonade reichen; Paul sah sie fest an und trank das Glas bis zum letzten Tropfen aus. Das Fieber nahm gegen Morgen zu, und der Verwundete delirierte ein wenig. Er sprach in unzusammenhängenden Worten, dann öffnete er plötzlich die Augen, und als er seinen Bruder erblickte, der sich am Bett stehend über ihn beugte und ihn sorgenvoll betrachtete, sagte er zu ihm:
»Nicht wahr, Nikolaus, Fenitschka hat etwas von Nelly?«
»Welche Nelly meinst du, Paul?«
»Wie kannst du fragen! Die Fürstin R…! Namentlich im oberen Teil des Gesichts.
C’est de la même famille.
«
Kirsanoff antwortete nichts und verwunderte sich über die Zähigkeit der Gefühle des menschlichen Herzens. »Wie so was doch immer wieder an die Oberfläche dringt,« dachte er.
»Ach, wie lieb ich dieses Geschöpf … dies unbedeutende!« rief Paul mit schmerzlichem Ton aus und legte den Arm unter den Kopf. – »Ich werde nie dulden, daß ein Unverschämter sie zu berühren sich erlaube …« murmelte er kurz darauf.
Kirsanoff seufzte; er hatte keine Ahnung, auf wen sich diese Worte bezogen.
Am andern Morgen erschien Bazaroff gegen acht Uhr bei ihm, er hatte inzwischen seine Effekten gepackt und alle seine Frösche, Vögel und Insekten in Freiheit gesetzt.
»Sie kommen, mir Lebewohl zu sagen,« sagte Kirsanoff aufstehend.
»Mein Gott, ja!«
»Ich verstehe Sie und gebe Ihnen vollkommen recht. Mein armer Bruder hat ohne Zweifel unrecht gehabt, auch ist er dafür gestraft. Ich weiß es von ihm selber, daß er Sie in die Unmöglichkeit versetzt hatte, anders zu handeln, als Sie taten. Ich glaube, daß es Ihnen sehr schwer geworden wäre, dies Duell zu vermeiden, welches … welches sich bis zu einem gewissen Grad aus dem beständigen Widerstreit Ihrer gegenseitigen Ansichten erklärt. (Nikolaus Petrowitsch verwirrte sich in seinen Worten und atmete schwer.) Mein Bruder ist reizbarer Natur, eigensinnig den alten Ideen zugetan … Ich danke Gott, daß alles so ohne weitere Folgen abgelaufen ist; übrigens habe ich alle Vorkehrungen getroffen, daß die Sache nicht ruchbar wird …«
»Ich werde Ihnen meine Adresse hinterlassen, und falls man aus alledem eine Geschichte machen wollte, können Sie mich immer wiederfinden,« warf Bazaroff hin.
»Hoffentlich ist dieser Vorsicht unnötig, Eugen Wassilitsch … Ich bedaure sehr, daß Ihr Aufenthalt in unserem Hause ein … derartiges Ende genommen hat. Das bekümmert mich um so mehr, als Arkad …«
»Vermutlich werde ich ihn wiedersehen,« erwiderte Bazaroff, den jede Art von »Auseinandersetzung« oder »Erklärung« ungeduldig machte. – »Andernfalls bitte ich Sie, ihn von mir zu grüßen und ihm mein ganzes Bedauern auszudrücken.«
»Auch ich bitte Sie …« antwortete Kirsanoff, sich verbeugend.
Bazaroff wartete jedoch das Ende der Phrase nicht ab und ging.
Als Paul erfuhr, daß Bazaroff im Begriff sei abzureisen, äußerte er den Wunsch, ihn zu sehen, und drückte ihm die Hand, Bazaroff aber zeigte sich nach seiner gewöhnlichen Art kalt wie Eis; er merkte sehr wohl, daß Paul den Großmütigen spielen wollte. Von Fenitschka konnte er nicht Abschied nehmen; er begnügte sich damit, ihr einen Blick zum Fenster hinauf zuzuwerfen. Sie kam ihm traurig vor. »Sie weiß sich vielleicht nicht zu helfen?« dachte er … »Übrigens warum nicht?« Peter war derart gerührt, daß er, an die Schulter Bazaroffs gelehnt, so lange fort weinte, bis dieser ihn mit der Frage zur Ruhe brachte, »ob seine Augen vielleicht in feuchtem Boden stünden?« Duniascha mußte in das Gehölz laufen, um ihre Bewegung zu verbergen. Der Urheber all dieser Schmerzen bestieg eine Telege, steckte sich eine Zigarre an, und als er vier Werst weiter bei einer Wendung des Weges zum letztenmal das Haus Kirsanoffs mit seiner ganzen Umgebung erblickte, spie er aus, murmelte zwischen den Zähnen: »Verfluchte Krautjunker,« und hüllte sich in seinen Mantel.
Das
Weitere Kostenlose Bücher