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Vaethyr: Die andere Welt

Vaethyr: Die andere Welt

Titel: Vaethyr: Die andere Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Warrington
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Dunkelheit konnte sie nichts erkennen, auch vermochte sie sich nicht gegen den Sturm zu behaupten. Trümmer wirbelten durch die Luft. Das Geräusch von knackendem und brechendem Splintholz hörte sich schrecklich an. Sie blieb angespannt sitzen und wartete, dass der Sturm sich legte. Das hatte man davon, wenn man sich auf Elfenwesen einließ: nichts als Unheil.
    Ihr Blick ruhte auf der gefalteten Felswand von Freias Krone und sie nahm in der Mulde darunter eine Bewegung wahr. In den dunklen Intervallen wurde diese ausgelöscht, doch sobald gespenstisches Leuchten die Landschaft bleich umriss, sah sie sie wieder, und jedes Mal kam dieses Etwas ein Stück weit auf sie zu wie bei einer Stop-Motion-Animation. Ein großer Mann, dessen Haut rotbraun verbrannt war, mit Augenbrauen, schrullig geschwungen wie Bockshörner, im schmutzigen Kakianzug …
    Sie verfolgte gebannt, wie diese unmögliche Gestalt sich auf sie zubewegte. Woher konnte er kommen … außer aus den Toren? Die Zeit blieb stehen. Sie kannte ihn. Nein .
    Er taumelte die letzten paar Schritte mit hoch erhobenen Händen auf sie zu, als wollte er dem Sturm Einhalt gebieten. Sie sah die blutende Einschusswunde in seiner Brust. Dann brach er zusammen. Sapphire versuchte zu schreien, brachte aber keinen Laut heraus.
    Als sie ihn erreichte, war er schon dem Tode nah, die Augenlider flatterten und ein Stöhnen kam über seine Lippen. »Papa«, flüsterte sie.
    »Meine Maria Clara.« Seine Stimme brach. »Meine Prinzessin.«
    »Es ist alles gut, Papa.« In der Eile überschlugen sich ihre Worte, aber sie hatte nur diese eine Chance. »Ich habe alles so gemacht, wie wir es geplant hatten. Habe Lawrence in den Ruin getrieben, seine Familie zerstört und mich von Kopf bis Fuß mit seinen verdammten Juwelen geschmückt. Er hat dich getötet, aber du hast ihn mit dir genommen. Wir haben gewonnen. Wir haben gewonnen!«
    Er war zu schwach, um ihr zu antworten, aber sein Lächeln erhellte sein sterbendes Gesicht. Er packte ihren Arm, wie um ihr zu sagen, dass er sie verstanden hatte. »Papa«, sagte sie und ihre Tränen fielen auf ihn.
    Als der nächste Blitz aufleuchtete, war er eine Leiche – nein, ein Kadaver, dessen Fleisch sich vor ihren Augen von den Knochen löste. Lawrence’ monströser Feind Barada, der Emissär des unerbittlichen Eisriesen Brawth – Fleisch für die wilden Tiere. Als der nächste Blitz zuckte, war nichts mehr von ihm da.
    »Ruh dich aus, Papa«, flüsterte Sapphire. Ihr Oberkörper sackte auf ihre Knie und sie schlang ihre Arme darum, um die Trauer zu unterdrücken und seinen Geist festzuhalten. »Jetzt können wir uns ausruhen.«
    Sam und Rose brachen durch die Bäume und brachten das letzte Stück Garten hinter sich, das sie von ihrem Zufluchtsort trennte. In der Ferne sahen sie Gestalten die Auffahrt hinunter fliehen. Als sie die hinterste Ecke von Stonegate erreicht hatten, drückten sie sich zum Schutz vor dem Sturm an die Wand. Rosie rang keuchend nach Luft. Ihr Mund schmeckte metallisch.
    »Hast du gesehen, wo Lucas hingerannt ist?«, fragte sie, als sie wieder sprechen konnte.
    »Nein.« Sam spuckte ein Blatt aus und wischte sich den Mund ab. »Alle haben geschrien und sind losgerannt. Die Schockwellen von den Toren waren unglaublich. Mein einziger Gedanke war, dich nicht zu verlieren.«
    »Hast du meine Eltern gesehen?«
    »Nein, mein Schatz. Tut mir leid. Es war alles so chaotisch.« Er rieb sich die Stirn. »Ich fühle mich, als hätte mir jemand einen Stein an den Kopf geworfen. Ich kann gar nicht richtig sehen.«
    »Das geht mir genauso und das Brandmal der Spirale brennt wie die Hölle.«
    »Ich habe Brawth herauskommen sehen«, sagte er. »Eine sich bewegende Dunkelheit – als hätte sich ein Stück aus dem Abyssus gelöst. Jetzt wissen wir, dass mein Vater weder verrückt noch paranoid war. Er hatte die ganze Zeit recht.«
    Rote Blitze zuckten und ließen sie in den Armen des anderen Zuflucht suchen. Als sie den Kopf wieder hob, meinte Rosie keuchend: »Ich fass es nicht, dass Lawrence das getan hat, nur um Comyn die Botschaft zu übermitteln: ›Hab ich’s dir nicht gesagt?‹«
    »Das hat er bestimmt nicht«, sagte Sam. »Das würde er nie tun. Ich denke, dass es ihn zermürbt hat, es immer zurückzuhalten, und er keinen Ausweg mehr wusste.«
    »Und wo ist … Brawth?«, fragte sie. Wolkenfetzen jagten wie Rauch über ihre Köpfe hinweg, dicke Gewitterwolken türmten sich ins Unendliche. Wie ein Hurrikan peitschte der Sturm

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