Vampir sein ist alles
muss dich bitten, jetzt zu gehen, aber ich freue mich schon wahnsinnig auf heute Abend, Marge. Dann kannst du mir alles erzählen.“
Das hätte ich besser nicht gesagt.
Sechs Stunden später redete Marge in einem fort auf mich ein. Sie hatte mich regelrecht in die Enge getrieben - zwischen meinem Bücherregal und dem Fenster - und schilderte mir ihre sexuellen Großtaten aus den früheren Leben in allen qualvollen Einzelheiten.
Ich schaute unauffällig zu meiner Kali-Statue, die auf dem zweiten Regalbrett stand. Wenn Marge nicht bald aufhörte zu reden, dann musste ich mir den Weg in die Raummitte frei prügeln. Die Sache war nämlich die: Ich hatte bisher mit niemand anderem sprechen können, und, was noch schlimmer war, uns ging allmählich die Limonade aus.
Die Sonne war längst untergegangen, aber das Thermometer zeigte immer noch dreißig Grad an. Die leichte Brise, die vom See durch die offenen Fenster hereinwehte, war immerhin eine kleine Erfrischung. Meine Wohnung befindet sich im oberen Stockwerk eines alten viktorianischen Hauses, dessen Elektrik ungefähr so alt ist wie die verputzten Holzständerwände, und das bedeutet: keine Klimaanlage. Ich habe schon öfter versucht, eine anzuschließen, aber jedes Mal fliegen die Sicherungen raus.
Strategisch positionierte Ventilatoren bewegten die warme Luft, und wir hatten viele Krüge eiskalte Limonade bereitgestellt, doch nun waren fast alle leer.
„Hmm, hm-hmm“, machte ich immer wieder, während Marge weitere Geschichten über ihre frühere Leistungsfähigkeit im Bett zum Besten gab. Ich hatte abgeschaltet, als sie das erste Mal von Cunnilingus sprach, denn in der Praxis mochte das zwar Spaß machen, aber ich konnte es nicht ausstehen, wenn jemand ständig mit solchen Worten um sich warf.
Ich versuchte, Augenkontakt zu Sebastian herzustellen, doch er unterhielt sich angeregt mit einer langbeinigen, blonden Austauschstudentin namens Blythe. Sie kam aus London und studierte Vergleichende Religionswissenschaften im Hauptfach. Keiner von den beiden merkte, wie sehr ich mich um Sebastians Aufmerksamkeit bemühte.
Marge hingegen entging es nicht. Sie warf einen verstohlenen Blick in seine Richtung, dann platzte sie mit etwas furchtbar Peinlichem über Sex und Spionage heraus. Und die ganze Zeit über nestelte sie an dem Hundeanhänger an ihrer Kette herum.
Als Marge begann, eine Kamasutra-Stellung zu erklären, die Mata Hari besonders nützlich gewesen war, warf ich ein: „Also, ich bewundere schon die ganze Zeit deine Kette. Wo hast du sie her?“
Sie hielt mitten im Satz inne und schaute den Anhänger in ihren Fingern an, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen. „Äh, die hier?“
Interessant; Marge war ausnahmsweise einmal um Worte verlegen. „Ja, ist das ein Anubis-Anhänger? Ist er magisch?“, fragte ich, obwohl mir mein Aura-Test bereits verraten hatte, dass es so war. Aber ich glaubte, so einen Anhänger an diesem Abend auch schon bei jemand anderem gesehen zu haben, und ich fragte mich, ob er mit einem örtlichen Zirkel in Zusammenhang stand, den ich nicht kannte. „Ich sollte ihn vielleicht ins Ladensortiment aufnehmen, was meinst du?“
„Oh nein, auf keinen Fall!“, erwiderte sie energisch, als hätte ich vorgeschlagen, ihrer Großmutter einen bösen Streich zu spielen. Sie schaute wieder zu Sebastian und Blythe, dann
richtete sie den Blick auf den Boden. „Das ist nur Klimbim. Etwas Persönliches. Hat nichts zu bedeuten.“
Und das war eindeutig eine Lüge. Ich sah Sebastian an, der jedoch nur Augen für Blythe hatte. Warum hatte Marge in seine Richtung geschaut? War der Hund irgendein Symbol, das mit Sebastian zu tun hatte? Es hieß ja immer wieder, Vampire könnten sich in Wölfe verwandeln, aber Sebastian bestritt stets vehement, dass er seine Gestalt verändern konnte. Wenn ich das Thema zur Sprache brachte, kam er mir jedes Mal mit den Gesetzen der Physik und dem „Erhalt der Masse“, was auch immer das zu bedeuten hatte.
War der Anhänger vielleicht das Symbol eines anderen Vampirs? War Marge etwa eine Blutspenderin? „Okay, aber sag mal“, fragte ich, „wie bist du eigentlich zur Magie gekommen?“
„Äh ... wie gesagt... es liegt in der Familie“, stammelte sie und wich einen Schritt zurück.
Was war hier eigentlich los? Die meisten Hexen redeten furchtbar gern über ihr „Coming-out“ und ihre Entdeckung - beziehungsweise Wiederentdeckung - der Hexenkunst. Im Grunde war der Vergleich mit der Schwulen- und
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