Vampire Academy 03 ● Schattenträume
Leute, die meinen Mangel an Reaktion bemerkten, sahen sich nach mir um. Aber ich war wie vom Donner gerührt. Dies geschah nicht wirklich. Meine Mason-Warnvorstellung von vergangener Nacht schien mir wesentlich realer als dies hier. Einige Sekunden später merkte auch Alberta, dass ich mich nicht rührte. Sie blickte verärgert von ihrem Klemmbrett auf und ließ den Blick über die Menge gleiten.
„Rose Hathaway?”
Jemand stieß mir den Ellbogen in die Rippen, als ob es sein könnte, dass ich meinen eigenen Namen nicht erkannte. Schluckend erhob ich mich und ging wie ein Roboter die Tribünen hinunter. Es lag ein Irrtum vor. Es musste ein Irrtum sein. Ich ging auf Wächter Chase zu und fühlte mich wie eine Marionette, die ein anderer kontrollierte. Er reichte mir mein Päckchen und einen Übungspflock, mit dem ich die erwachsenen Wächter „töten” sollte. Dann machte ich der nächsten Person Platz.
Ungläubig las ich die Worte auf dem Einband des Päckchens drei Mal. Christian Ozera. Ich klappte es auf und sah sein Leben vor mir ausgebreitet. Ein aktuelles Foto. Sein Kursplan. Sein Familienstammbaum. Sein Lebenslauf. Es fanden sich sogar Einzelheiten über die tragische Geschichte seiner Eltern: dass sie aus freien Stücken Strigoi geworden waren und mehrere Leute ermordet hatten, bevor man sie endlich zur Strecke gebracht und getötet hatte.
Unsere Anweisungen für diesen Augenblick sahen vor, dass wir unsere Dossiers lasen, eine Tasche packten und uns dann beim Mittagessen mit unserem Moroi trafen. Während weitere Namen aufgerufen wurden, blieben viele meiner Klassenkameraden in der Turnhalle stehen, redeten mit ihren Freunden und zeigten ihre Päckchen vor. Ich lungerte in der Nähe einer Gruppe herum und wartete diskret auf eine Chance, mit Alberta und Dimitri zu sprechen. Es war ein Zeichen für meine sich gerade erst entwickelnde Geduld, dass ich nicht auf der Stelle zu ihnen marschierte und Antworten verlangte. Glaubt mir, ich wollte es tun. Stattdessen ließ ich sie ihre Liste durchgehen, doch es fühlte sich an, als dauerte es ewig. Mal ehrlich, wie lange brauchte man, um ein paar Namen vorzulesen?
Als dem letzten Novizen sein Moroi zugeteilt war, hob Stan die Stimme, um das Getöse zu übertönen, und rief uns zu, wir sollten zum nächsten Stadium des Auftrags übergehen. Dann versuchte er, meine Klassenkameraden aus der Turnhalle zu treiben. Ich pflügte mich durch die Menge und stolzierte zu Dimitri und Alberta hinüber, die glücklicherweise nebeneinanderstanden. Sie plauderten über irgendwelche Verwaltungsdinge und bemerkten mich nicht gleich.
Als sie dann doch in meine Richtung sahen, hielt ich mein Päckchen hoch. „Was ist das?”
Albertas Gesicht sah leer und verwirrt aus. Etwas in Dimitris Miene sagte mir, dass er mit meiner Reaktion gerechnet hatte. „Das ist Ihre Zuteilung, Miss Hathaway”, erklärte Alberta.
„Nein”, erwiderte ich mit zusammengebissenen Zähnen. „Das ist es nicht. Dies ist die Zuweisung von jemand anderem.”
„Die Zuweisungen in Ihrem Praktikum sind nicht optional”, eröffnete sie mir streng. „Genauso wenig wie Ihre Zuweisungen in der realen Welt es sein werden. Sie können sich nicht nach Lust und Laune aussuchen, wen Sie beschützen, nicht hier und gewiss auch nicht nach Ihrem Abschluss.”
„Aber nach meinem Abschluss werde ich Lissas Wächterin sein!”, rief ich. „Das weiß jeder. Also sollte ich sie auch.... für diese Sache haben.”
„Ich weiß, dass es eine allgemein akzeptierte Idee ist, dass Sie nach dem Abschluss zusammen sein werden, aber ich erinnere mich nicht an irgendwelche Mussvorschriften, die besagen, dass Sie sie oder irgendjemanden sonst hier in der Schule haben ,sollten’. Sie nehmen die Person, der Sie zugeteilt sind.”
„Christian?” Ich warf mein Päckchen auf den Boden. „Sie sind von Sinnen, wenn Sie glauben, ich würde ihn bewachen.”
„Rose!”, ermahnte mich Dimitri, der sich endlich in das Gespräch einschaltete. Seine Stimme war so hart und scharf, dass ich zusammen-zuckte und für eine halbe Sekunde vergaß, was ich eigentlich sagen wollte. „Sie vergessen sich. Sie werden nicht so mit Ihren Lehrern sprechen.”
Ich hasste es, von irgendjemandem getadelt zu werden. Ich hasste es aber ganz besonders, von ihm getadelt zu werden. Und ich hasste es ganz besonders, von ihm getadelt zu werden, wenn er recht hatte. Aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich war zu wütend, und der Schlafmangel
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