Vampirgeflüster
hatte.
»Danke, Bill«, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Clancy lächelte nur spöttisch.
Dann kamen Tray und Amelia ins Merlotte's, und nachdem er Amelia an einen Tisch gebracht hatte, ging Tray, alle Leute rundum grüßend, an die Bar. Sam kam aus dem Büro und trat auf den kräftigen Mann zu, der mindestens zehn Zentimeter größer war als mein Boss und fast doppelt so breit. Sie grinsten sich vielsagend an, was Bill und Clancy sofort in Alarmbereitschaft versetzte.
Und da wurde plötzlich in den Fernsehern, die im ganzen Raum in regelmäßigen Abständen angebracht waren, mit einem Jingle die aktuelle Sportberichterstattung unterbrochen. Die Gäste der Bar drehten sich, aufmerksam geworden, zu den Bildschirmen um, und der Geräuschpegel sank, weil sich nur noch hier und da vereinzelt Leute unterhielten. »Spezial«, flimmerte es in Riesenlettern über die Bildschirme, ehe ein Nachrichtensprecher mit kurz geschnittenem, gegeltem Haar und todernster Miene in feierlichem Ton sagte: »Ich bin Matthew Harrow. Heute Abend haben wir ein Spezial für Sie. Wie in allen Nachrichtenredaktionen im ganzen Land haben auch wir hier in Shreveport einen Gast in unserem Studio.«
Die Kamera fuhr zurück, um das Blickfeld zu erweitern, und eine schöne Frau rückte ins Bild. Ihr Gesicht kam mir irgendwie bekannt vor. Mit eingeübter Geste winkte sie in die Kamera. Sie trug so eine Art Kaftan, ziemlich unmöglich für einen Fernsehauftritt.
»Das ist Patricia Crimmins, die vor einigen Wochen nach Shreveport gezogen ist. Patty - ich darf Sie doch Patty nennen?«
»Eigentlich werde ich Patricia genannt«, erwiderte die brünette Frau. Jetzt erinnerte ich mich: Sie gehörte zu dem Rudel, das von Alcides Rudel geschluckt worden war. Eine wirklich bildschöne Frau, und der Teil von ihr, der nicht unter diesem Kaftan verschwand, sah fit und durchtrainiert aus. Sie lächelte Matthew Harrow an. »Ich bin heute Abend als Vertreterin eines Volkes hier, das schon seit vielen Jahren unter Ihnen lebt. Und weil sich der Schritt an die Öffentlichkeit für die Vampire so bewährt hat, haben wir beschlossen, dass es nun auch für uns an der Zeit ist, Ihnen von unserer Existenz zu berichten. Immerhin sind Vampire ja sogar tot. Sie sind nicht einmal Menschen. Im Gegensatz zu uns, wir sind genau so wie Sie alle, mit nur einem kleinen Unterschied.« Sam drehte die Lautstärke auf. Gespannt auf das, was jetzt kommen mochte, begannen die Leute in der Bar auf ihren Stühlen hin- und herzurücken.
Das Lächeln des Nachrichtensprechers war so eingefroren, wie es nur sein konnte, und er war sichtlich nervös. »Wie interessant, Patricia! Was - was sind Sie denn?«
»Vielen Dank, dass Sie gleich danach fragen, Matthew! Ich bin eine Werwölfin.« Patricia umschlang mit den Händen das eine Knie ihrer übereinandergeschlagenen Beine und wirkte kess genug, um Gebrauchtwagen zu verkaufen. Da hatte Alcide wirklich eine gute Wahl getroffen. Und außerdem war sie ... tja, hoffentlich wurde sie nicht gleich wieder auf der Stelle ermordet... seine Neue.
Jetzt herrschte Grabesstille im Merlotte's, während das Wort von Tisch zu Tisch die Runde machte. Bill und Clancy waren aufgestanden und hatten sich an den Tresen gestellt. Nun verstand ich. Sie waren hier, um für Frieden zu sorgen, falls es nötig wurde. Sam musste sie gebeten haben, heute Abend zu kommen. Tray begann sein Hemd aufzuknöpfen. Sam trug ein langärmeliges T-Shirt, das er sich jetzt über den Kopf zog.
»Heißt das, Sie verwandeln sich bei Vollmond in eine Wölfin?« Matthew Harrow bebte und war bemüht, sein Lächeln aufrechtzuerhalten und einfach nur mit interessierter Miene dreinzublicken. Seine Bemühungen blieben jedoch recht erfolglos.
»Und auch zu anderen Zeiten«, erklärte Patricia. »Bei Vollmond müssen sich die meisten von uns verwandeln, aber die vollblütigen Wergeschöpfe unter uns können es auch zu anderen Zeiten. Es gibt viele verschiedene Wertiere, doch ich verwandle mich in eine Wölfin. Werwölfe sind unter den Zweigestaltigen die größte Gruppe. Und nun werde ich Ihnen allen zeigen, was für ein erstaunlicher Vorgang das ist. Und haben Sie keine Angst. Ich überstehe das unbeschadet.« Sie zog die Schuhe aus, aber den Kaftan nicht. Da verstand ich plötzlich. Sie trug das Ding, damit sie sich nicht vor laufender Kamera nackt ausziehen musste. Patricia kniete sich hin und lächelte ein letztes Mal in die Kamera, ehe ihr Körper sich zu verzerren begann. Die
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