Vampirgeflüster
Luft um sie herum flirrte vor lauter Magie, und durch das Merlotte's hallte ein einstimmiges » Ooooooo «.
Patricia hatte mit ihrer Verwandlung im Fernsehstudio kaum begonnen, da taten Sam und Tray es ihr nach, an Ort und Stelle. Sie trugen altes Unterzeug, das ruhig in Fetzen gehen konnte. Die Gäste im Merlotte's waren hin- und hergerissen zwischen dem Fernsehschirm, auf dem sich eine wunderschöne Frau in ein Tier mit langen weißen Zähnen verwandelte, und dem Spektakel vor ihren Augen, wo zwei ihnen wohlbekannte Männer genau dasselbe taten. Überall in der Bar ertönten Ausrufe, die man fast alle in anständiger Gesellschaft nicht wiederholen konnte. Jasons Begleiterin, Michele Schubert, stand sogar auf, um besser sehen zu können.
Ich war so stolz auf Sam. Das erforderte eine Menge Mut, zumal er ein Geschäft betrieb, bei dem es nicht zuletzt darauf ankam, dass die Leute ihn mochten.
Und im nächsten Augenblick war es auch schon geschehen. Sam, einer der seltenen reinen Gestaltwandler, hatte sich in sein mir vertrautestes Wesen, einen Collie, verwandelt. Er kam zu mir gelaufen, setzte sich vor mich hin und heulte freudig auf. Ich tätschelte seinen Kopf. Die Zunge hing ihm aus dem Maul, und er schien mich anzulachen. Trays Tiergestalt war sehr viel ehrfurchtgebietender. Große Wölfe sind im ländlichen Norden von Louisiana nur sehr selten zu sehen - ach, sagen wir, wie's ist: Sie machen einem Angst. Die Leute wichen besorgt zurück und hätten vielleicht sogar die Flucht ergriffen, wenn Amelia sich nicht neben Tray gehockt und ihm den Arm um den Nacken gelegt hätte.
»Er versteht jedes Wort«, sagte sie aufmunternd zu den Leuten am Nachbartisch. Amelia hatte ein ganz wunderbares Lächeln, offen und ehrlich. »Hey, Tray, bring ihnen das hier.« Sie reichte ihm einen der Bierdeckel des Merlotte's, und Tray Dawson, einer der unerbittlichsten Kämpfer sowohl in Wolfs- wie in Menschengestalt, trottete brav zu der Frau am Nebentisch und legte ihr den Bierdeckel in den Schoß. Sie blinzelte, zögerte und brach schließlich in ein Kichern aus.
Sam leckte mir die Hand.
»Oh, du großer Gott!«, kreischte Arlene. Whit Spradlin und sein Kumpel waren aufgesprungen. Ein paar der anderen Gäste wirkten auch nervös, aber keiner von ihnen hatte so heftig reagiert.
Bill und Clancy sahen mit ausdruckslosen Mienen zu. Es war nicht zu übersehen, dass sie in Alarmbereitschaft waren und beim geringsten Ärger eingreifen würden. Doch bislang lief alles bestens bei dieser Großen Offenbarung. Die Nacht der Großen Enthüllung der Vampire war nicht so glimpflich verlaufen, vermutlich weil es der erste große Schock für die Gesellschaft der Normalbürger war, dem in den Jahren darauf noch weitere folgten. Doch allmählich waren die Vampire zu angesehenen Einwohnern Amerikas geworden, auch wenn ihre Bürgerrechte noch in mancher Hinsicht beschnitten waren.
Sam und Tray liefen unter den Leuten umher und ließen sich streicheln, als wären sie ganz normale gezähmte Tiere. Der Nachrichtensprecher im Fernsehen hatte sichtlich zu zittern begonnen, seit er sich mit der schönen weißen Wölfin konfrontiert sah, in die Patricia sich verwandelt hatte.
»Seht euch den an, der hat so 'ne Angst, der macht sich gleich ins Hemd!«, rief D'Eriq, unsere Hilfskraft, und lachte laut los. Die Anspannung der Gäste im Merlotte's ließ so weit nach, dass die Leute sich überlegen fühlen konnten. Immerhin hatten sie das alles doch ziemlich gelassen hingenommen.
»Vor so 'ner hübschen Lady«, rief Jasons neuer bester Freund Mel, »muss doch keiner Angst haben, selbst wenn sie ein bisschen haart.« Und das Gelächter und die Entspannung griffen noch weiter um sich in der Bar, ein Glück. Auch wenn ich's ziemlich ironisch fand, dass den Leuten das Lachen sicher im Halse stecken geblieben wäre, wenn auch Jason und Mel sich verwandelt hätten. Sie waren beide Werpanther, Jason konnte sich allerdings nicht vollständig verwandeln.
Nach diesem Gelächter spürte ich, dass alles gut ausgehen würde. Auch Bill und Clancy gingen, nach einem wachsamen Blick in die Runde, zurück an ihren Tisch.
Whit und Arlene waren total perplex, wie locker die Leute um sie herum das alles nahmen. Arlenes Gedanken waren ein einziges wildes Gewirr. Sie wusste überhaupt nicht, wie sie reagieren sollte. Sam war schließlich schon einige Jahre lang unser Boss. Wenn sie ihren Job nicht verlieren wollte, würde sie den Mund halten müssen. Doch ich konnte auch ihre
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