Vampirmelodie
Anblick, bei dem Tyreses Grinsen schwand. »Was wollen Sie haben?«, wiederholte der Teufel. »Noch einmal werde ich nicht fragen.«
»Ich will Gypsy Kidd. Ihr richtiger Name lautet Katy Sherboni, falls Sie den brauchen. Sie arbeitet im Nachtclub Bourbon Street Babes. Ich will, dass sie mich genauso liebt wie ich sie.«
Der Geschäftsmann war enttäuscht von seinem Angestellten. »Tyrese, Sie sollten lieber um etwas Beständigeres bitten. Sex ist in New Orleans doch überall zu kriegen, und Mädchen wie Gypsy gibt es haufenweise.«
»Das stimmt nicht«, erwiderte Tyrese. »Ich glaube zwar nicht, dass ich eine Seele habe, aber ich weiß, dass es die wahre Liebe nur einmal gibt im Leben. Und ich liebe Gypsy. Wenn sie mich wiederliebt, bin ich ein glücklicher Mensch. Und wenn Sie Geld verdienen, Boss, verdiene auch ich Geld. Ich werde genug haben. Ich bin nicht habgierig.«
»Aber ich bin die Verkörperung der Habgier«, warf der Teufel beinahe liebenswürdig ein. »Zu guter Letzt werdenSie sich noch wünschen, dass Sie mich wenigstens um ein paar Staatsanleihen gebeten hätten, Tyrese.«
Der Bodyguard schüttelte den Kopf. »Ich bin zufrieden mit meinem Handel. Geben Sie mir Gypsy, der Rest wird sich schon finden. Das weiß ich.«
Der Teufel sah ihn mit einem Ausdruck an, der sehr dem des Mitleids glich, wenn dieses Gefühl einem Teufel denn überhaupt möglich war.
»Amüsieren Sie sich, hören Sie?«, sagte er zu den beiden neuen Seelenlosen. Sie konnten nicht recht einschätzen, ob er sich über sie lustig machte oder ob er es ernst meinte. »Tyrese, Sie werden mich bis zu unserem endgültigen Treffen nicht wiedersehen.« Dann sah er den Geschäftsmann an. »Und wir beide, Sir, werden uns irgendwann in der Zukunft noch einmal begegnen. Rufen Sie mich einfach an, wenn Sie sich für einen Unterschriftenbonus entschieden haben. Hier ist meine Visitenkarte.«
Der Geschäftsmann griff nach der schlichten weißen Karte. Es stand nur eine Telefonnummer darauf. Doch es war nicht die Nummer, die er angerufen hatte, um dieses Rendezvous hier zu verabreden. »Und was, wenn es noch Jahre dauert?«, fragte er.
»Das wird nicht der Fall sein«, erwiderte der Teufel, nun schon aus einiger Entfernung. Als der Geschäftsmann wieder aufblickte, war der Teufel bereits einen halben Block weit weg. Nach weiteren sieben Schritten schien er irgendwie mit dem schmutzigen Gehweg zu verschmelzen, und es blieb nichts von ihm als ein Schemen in der kalten feuchten Luft.
Der Geschäftsmann und sein Bodyguard drehten sich um und gingen eilig in die entgegengesetzte Richtung davon. Der Bodyguard sah den Teufel in dieser Gestalt nie wieder. Und der Geschäftsmann nicht bis zum Juni.
Juni
Weit entfernt – Tausende von Meilen – lag ein großer dünner Mann an einem Strand von Baja. Er hielt sich nicht an einem der Touristenorte auf, wo er vielen anderen Gringos begegnet wäre, die ihn vielleicht erkannt hätten. Dort verkehrte er regelmäßig in einer heruntergekommenen Bar, eigentlich eher einer Art Hütte. Gegen etwas Bargeld lieh der Besitzer seinen Gästen ein großes Handtuch und einen Sonnenschirm und schickte von Zeit zu Zeit seinen Sohn mit einem frischen Drink vorbei. Solange man denn weitertrank.
Obwohl der große Dünne nur Coca-Cola trank, musste er Unsummen dafür hinblättern – auch wenn er das gar nicht zu bemerken schien, oder vielleicht war es ihm auch egal. Er trug einen Hut, eine Sonnenbrille und Badehosen und hockte, zusammengekauert im Schatten des Sonnenschirms, auf seinem Handtuch. Dicht bei ihm stand ein uralter Rucksack, und seine Flipflops, die einen leichten Geruch von heißem Gummi verströmten, lagen gleich daneben im Sand. Der große Dünne hörte sich etwas auf dem iPod an, und sein Lächeln verriet, dass ihm gefiel, was er da hörte. Er hob den Hut und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Es war goldblond, doch am bereits nachwachsenden Haaransatz war zu erkennen, dass diese Farbe nur sein natürliches Grau verdeckte. Seinem Körper nach zu urteilen war er Mitte vierzig. Sein Kopf war klein im Vergleich zu seinen breiten Schultern, und er wirkte nicht wie ein Mann, der es gewöhnt war, mit den Händen zu arbeiten. Er wirkte aber auch nicht reich; sein ganzes Ensemble, die Flipflops und die Badehose, der Hut und das beiseitegeworfene T-Shirt, war von Wal-Mart oder einem sogar noch billigeren Ein-Dollar-Laden.
Es lohnte sich nicht, wohlhabend zu wirken auf Baja,nicht bei der heutigen Lage der Dinge.
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