Vampirzorn
kannte er sich ein wenig in der Numerologie aus und griff automatisch auf folgende Tabelle zurück:
Nostradamus sah sie in seinem Geist. Das hebräische System!, sagte er. Das kenne ich. Ich spreche auch Hebräisch. Immerhin war es die Muttersprache meines Großvaters, und er brachte sie mir bei. Die Buchstaben deines Namens, Harry Keogh, ergeben elf und zweiundzwanzig! Erstere ist die Zahl des Visionärs und Märtyrers, die zweite steht für den erfolgreichen Magier! Kein Wunder, dass du ein Totenhorcher bist und an geheimen Orten wandelst!
Ein Totenhorcher? Das erinnerte Harry an etwas, doch er konnte den Gedanken nicht fassen. Und was den Rest betraf, die Summe seines Vor- und Zunamens – das kannte Harry bereits. Aber es war nicht mehr als ein Zufall, denn Harry hielt nicht allzu viel von der Numerologie. »Und Ihre Zahl ist die Sieben«, sagte er. »Der Seher, Hellseher oder Prophet – oder auch alles zusammen. Ganz gleich, ob man Sie nun Michel de Nostredame oder Nostradamus nennt, es kommt jedes Mal die gleiche Zahl heraus, denn beide Ihrer Nachnamen ergeben vierzig!« (Bloß ein weiterer Zufall.)
Hast du etwas anderes erwartet? So viel zu den Zahlen, aber was ist mit den Namen?
»Den Namen eines Menschen zu kennen, heißt, seine Zahl zu kennen«, erwiderte der Necroscope, »aber wie soll man von einer Zahl auf einen Namen kommen? Oder reden Sie davon, was Namen bedeuten?«
So langsam kommen wir der Sache näher! Mittlerweile klang Nostradamus ziemlich aufgeregt. Doch schon im nächsten Augenblick schrie er beinahe schmerzerfüllt auf: Ah, eine Vision – und ein Quatrain, ein Vierzeiler – rasch, bevor es vorbei ist!
Ihrer beider Geist war durch Harrys Talent verbunden, und was Nostradamus sah, sah der Necroscope ebenfalls:
Die Zeit, wie sie sich abspulte – nein, rückwärts entwickelte! Eine Gestalt, die durch die Vergangenheit stürzte, durch die neonblauen (und scharlachroten und ... grünen? ) Lichtfäden oder vielmehr Lebenslinien von Menschen, Vampiren und ... wer weiß was sonst noch hindurch. Von Vampiren? War dies die Vergangenheit oder die Zukunft? Was auch immer, es handelte sich unverkennbar um die Möbius-Zeit. Und die im Sturz begriffene Gestalt war ein Toter, verbrannt und rußgeschwärzt, die Arme ausgebreitet wie an einem Kreuz, der, sich überschlagend, in die Vergangenheit schraubte.
Die Vision an sich war schon grässlich genug, aber sie schien noch etwas weitaus Entsetzlicheres bereitzuhalten. Dies hatte der Necroscope doch schon einmal gesehen, oder nicht? Er bekam eine Gänsehaut. Doch dann:
Ein blendender Lichtblitz, alles zerbarst in tausend goldene Splitter, die auseinanderbrachen und von der Stelle aus, an der sich soeben noch der Leichnam befunden hatte, nach allen Seiten davonstoben. Sie schienen sich ihre Richtung zu suchen, beinahe so, als würde ein Bewusstsein sie lenken, weg von ihrem Hier und Jetzt an andere Orte, in andere Zeiten ...
Es war vorbei. Hast du das gesehen?, stöhnte Nostradamus. Hast du das mitbekommen? Ein Quatrain, rasch!
Und Harry sagte:
»Ein Mann von seltenem Talent fällt nieder
zu neuem Anfang, wo vieles möglich ist.
Scheinbar der Tod, in Wirklichkeit Geburt
von zweien, die goldene Verwandlung.«
Genau! Dem Necroscopen war, als seufze Nostradamus ihm direkt ins Ohr. Ebendies dachte ich auch. Hast du Kinder?
»Eh? Nur eins.«
Oh, nein – ziemlich viele, würde ich sagen.
»Wer weiß schon, was die Zukunft bringt?«, erwiderte Harry mit einem Achselzucken, ohne weiter darüber nachzudenken.
Ich – früher jedenfalls, und jetzt auch. Denn im Tod geht es so weiter wie im Leben.
»Dann werden Sie mir also helfen?«
Ich helfe dir doch bereits! Hattest du sie zuvor schon einmal gesehen, meine Vision? Diese eine von vielen? Einen Augenblick lang war dir so, das las ich in deinem Geist!
»Ja ... nein ... ich bin mir nicht sicher. Vielleicht war es in einem Traum.«
Aber du kannst dich nicht mit Gewissheit daran erinnern. Habe ich dir nicht gesagt, dass es sich so verhält? Die Zukunft hütet ihre Geheimnisse. Dies ist einer der Gründe, weshalb ich meine Geheimnisse wahrte. Und nun pass auf: Nostradamus spricht ganz offen zu dir. Es fällt nicht leicht nach all der Zeit, aber ich versuche es. Um deinetwillen. Und darum auch um meinetwillen.
»Für mich klingt das alles immer noch nach einem Wortspiel. Großer Seher, jetzt muss ich Sie doch eines fragen. Haben Sie auch schon mit Ihnen gespielt?«
Ein Schaudern. Nein, aber ich
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