Vampirzorn
bin! Bleibt noch ...?
»Sum, adartson? Ich bin ... adartson?« Erneut legte der Necroscope die Stirn in Falten, doch dann klappte ihm der Kiefer nach unten und sein Mund stand ebenso weit offen wie sein Geist. Nostradamus von hinten gelesen. Sum, a dart son. »Auf Englisch heißt das: ›I am ... a ... dart ... son!‹ Ich bin der Sohn eines Pfeiles!«
Wenn man so will, ja! Oder vielmehr eines goldenen Splitters, der mir große Weisheit brachte:
Der mich in jenem Schicksalsjahr durchbohrte,
als ich beulenübersäte Kranke heilte.
Nur die mir am teuersten waren ...
... ruhten bald in Gottes Armen.
»Das muss ... 1537 gewesen sein?«, sagte Harry. »Die Beulenpest. Sie waren Arzt und heilten viele, aber Ihre Frau und Ihre Kinder starben.«
Was für ein Elend! Ich wollte nicht mehr leben! Doch dann hatte ich diese Vision: Ein Mann, die Arme ausgebreitet wie ein Gekreuzigter oder auf den Scheiterhaufen der Inquisition Gefesselter, stürzte, noch immer vom Feuer schwelend, durch die Zeit. Und ich durfte es schauen! Und in Scaligers Haus in Agen, wo ich mich weinend der Trauer hingab, auf einmal ein gleißender Lichtblitz! Ein Blitz, mitten an einem wolkenlosen Tag! Er traf mich in die Schläfe, als der goldene Splitter aus dem Abgrund der Zeit sein Ziel erreichte! Aber ich war nicht tot. Ich lebte. Und konnte – sehen! Harry, du bist die Elf, der Märtyrer, ich konnte sehen ...
»Mehr als andere Menschen. Jedenfalls bestimmt mehr als ich!«
Mehr als »sum«, von da an. Sechs Jahre lang zog ich umher und zerbrach mir den Kopf, was ich damit anfangen sollte. Alles aufschreiben und damit die Behörden herausfordern? Denn vieles von dem, was ich vorhersah, ging den Mächtigen, die keinen Widerspruch duldeten, gegen den Strich und durfte nicht sein. Sollte ich mich etwa verbrennen lassen, so wie der Mann, von dem ich meine Fähigkeit hatte? Und doch war mir klar, dass dieses Wissen weitergegeben werden musste!
In dunkle Verse
fasste ich darauf
die Dinge, die ich sah,
darum war ihr Sinn nicht klar.
Und nachdem ich sechs lange Jahre durch die Wildnis gewandert war, begann ich meine Vierzeiler, die Quatrains, niederzuschreiben, damit die Menschen ihren Sinn ausloten konnten. Im Tod fahre ich damit fort, allerdings auf den Seiten meines Geistes. Es ist mir zur Gewohnheit geworden ...
Der Necroscope schüttelte den Kopf. »Aber meine Zukunft wird dadurch auch nicht klarer.«
Ach? Wirklich nicht? (Schwang in Nostradamus’ Stimme so etwas wie Trauer mit?) Doch rasch fügte er hinzu:
Ein Sohn von dir,
Hannat, wird in den Sternen lesen
und darin sein Geschick erkennen,
auch wenn wir seine Sterne nicht die unsren nennen ...
»Ich habe keinen Sohn, der so heißt. Ist das schon wieder ein Anagramm? Und die Sterne verändern sich nicht. Sie sind für jeden gleich.«
In dieser Welt schon, aye. Und was »Hannat« betrifft – war »Hister« etwa der König der Deutschen? Was steckt in einem Namen? Aber es ging so schnell! Um ein Haar hätte ich es richtig verstanden.
»Sie können einen in den Wahnsinn treiben«, sagte Harry voller Mitgefühl. »Und bis dahin ist es bei mir nicht mehr weit, denn ich bin bereits halb verrückt! Hannat? Das ist doch kein Name. Hannah kommt dem vielleicht am nächsten, aber das ist ein Frauenname!«
Du wirst ihm keinen Namen geben,
auch nicht seine Geburt erleben.
Er wohnt jenseits des Randes dieser Welt
unter einem fernen, fremden Sternenzelt ...
Und, schlimmer, noch ein dritter Sohn.
Aus meinen ersten sechs forme seinen Namen.
Keiner kann ihm helfen, er ist schlecht,
ganz anders als sein Vater, ihm zum Hohn!
»Aus Ihren ersten sechs Buchstaben? ›Nostre‹? Daraus soll ich einen Namen bilden?« Harry schüttelte den Kopf. »Da komme ich nicht mehr mit. Zwei Söhne, von denen ich nichts weiß, Hannat und Nostre, oder zumindest setzen ihre Namen sich aus diesen Buchstaben zusammen? Warum sagen Sie mir nicht einfach, was Sie in meiner Zukunft sehen?«
Aber das tue ich doch! Und auch in der Zukunft deiner Zukunft! Aber es ist nicht so einfach. Die Zukunft lässt sich nicht so leicht in die Karten blicken, sie wehrt sich dagegen. Aber, na gut! Deine Zukunft also! Allerdings darfst du sie nicht sehen. Kann ich dir trauen?
»Ich darf sie nicht sehen? Aber wir stehen doch in Verbindung miteinander; ich werde sehen, was Sie sehen.«
Höre auf meine Stimme, lausche meinen Versen und bewahre sie im Gedächtnis; aber verschließe deinen Geist vor meinen Visionen. Anders können wir
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