Vampyrus
Steinmauern. Ich lag bäuchlings festgeschnallt auf einer Art Bank. War dies hier Kardulgors Folterkeller? Was wollte er von mir, waren wir nicht eine Kooperation eingegangen? Hinter mir raschelte Stoff. Ich kannte das Geräusch. Es konnte nichts anderes als Kardulgors Robe sein. Ich spürte die Präsenz des Magiers, aber er sagte kein Wort.
Und dann spürte ich etwas Kaltes auf meinem Rücken. Eine Kälte, die sich in ein heißes Brennen verwandelte. Ein Brennen, das die Form eines Rechtecks annahm und dann flächenartig immer stärker wurde. Der Schmerz und das Entsetzen wurden unerträglich, als ich spürte, wie ein Stück meiner Haut abgezogen wurde. Ich schrie. Schwäche durchflutete meinen Körper und ich konnte nichts mehr sehen. Doch ich wurde nicht ohnmächtig.
Ein Mensch wäre in dieser Situation wahrscheinlich gestorben. Doch ich lebte weiter. Mein Rücken brannte. Ich wusste, dass mein Körper sich regenerieren würde, doch dazu würde ich Blut brauchen. Und ob Kardulgor mir welches geben würde, war sehr fraglich. Eher würde er mich so lange benutzen, bis ich vor die Hunde ging. Und ich hatte ihm auch noch geholfen, die Textstelle zu entschlüsseln. Wie praktisch, der Übersetzer war auch gleich die Quelle für das Rohmaterial. Wie hatte ich diesem Scheusal vertrauen können? Dass jeder Mensch mich selbst als solches bezeichnen würde, erschien mir nur zu ironisch. Gleich und Gleich gesellt sich gern, wie das alte Sprichwort sagt. Doch nein, ich hatte meine Vereinbarung eingehalten. Kardulgor war das Monster, nicht ich.
Stunden vergingen. Noch eine weitere Nacht. Und noch eine und noch eine. Festgeschnallt auf dem Holzbrett in dem Verlies dämmerte ich im Dunklen vor mich hin und spürte, wie einerseits meine Wunde verheilte, auf der anderen Seite aber meine Kräfte nachließen. Hatte mein Peiniger mich vergessen? Würde er mich hier einfach verrotten lassen? Ich hatte nie an meiner Unsterblichkeit gezweifelt, doch nun war ich mir nicht mehr so sicher. Was würde passieren, wenn ich hier ewig festgebunden war?
In der vierten Nacht kam Kardulgor zu mir. Begleitet wurde er von dem Schattendiener, der wie immer den Kerzenleuchter hielt. Kardulgor stellt sich vor mich. In der Hand hielt er ein dickes, in Leder gebundenes Buch, das jedoch vorerst nur aus einer Seite zu bestehen schien. Er bezeichnete mich höhnisch als seinen Freund, der ihm von großer Hilfe gewesen sei. Dies hier sei sein neues Buch der Seelen. Der Magier zeigte sich sehr zufrieden über meinen Zustand und wünschte mir gute Besserung. Es sei verblüffend, dass ich mich so schnell von seiner Behandlung erholt hatte. Mit einem Lachen und der Ankündigung, dass er mich bald wieder besuchen würde, verließ er mich. Dunkelheit und Kälte hüllten mich wieder ein und ich fiel in einen traumlosen Schlaf.
In der fünften Nacht erschien wieder das Licht. Ich versuchte die Quelle zu erblicken und drehte meinen Kopf. Es war der Kerzenleuchter, der durch den Raum schwebte und sich dann auf den Boden abstellte. Nun konnte ich auch wieder die Schattengestalt sehen, wie sie über die Wand glitt und vor mir verharrte. Ohne Licht kein Schatten kam mir in den Sinn. Natürlich brauchte er den Kerzenleuchter, damit ich ihn sehen konnte. Ich blickte ihn an und begriff. Der Schatten und ich, wir waren beide Gefangene Kardulgors. Mir fiel die Formel zum Lösen des Banns wieder ein. Ob er mich befreien würde, wenn ich das Gleiche für ihn tat?
Ich suchte in meinem Gedächtnis nach den exakten Worten. Es war entscheidend, die Formel das erste Mal ohne Fehler zu sprechen, da es sonst lange Zeit dauerte, bis der Zauber wiederholt werden konnte. Mit geschlossenen Augen sagte ich den Spruch auf. Dann schlug ich die Augen auf und sah, wie der Schatten auf mich zu glitt. Im nächsten Moment lösten sich meine Fesseln. Steif und ungelenk erhob ich mich von der Folterbank. Die Tür des Verlieses stand offen.
Ich verließ das Haus nicht, ohne einen Umweg über die Bibliothek zu machen. Es war gefährlich, doch mein Begleiter kannte alle Fallen und magischen Vorkehrungen, die der Meister in dem Haus errichtet hatte, sodass wir nur über geheime Dienstbotenkorridore und Nebengänge schlichen. Mit dem Grimoire in der Hand verließ ich das Haus an der Klippe. Der Kerzenleuchter fiel zu Boden und mein schattenhafter Begleiter verschmolz lautlos mit der Nacht.
Es ist wieder Winter geworden. Heute Nacht begebe ich mich ein zweites Mal zu dem riesigen alten Haus auf der
Weitere Kostenlose Bücher