Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 2
Inhalt
Der nächste Morgen begann mit Dauerregen. Kate lächelte in den von düsteren Wolken verhangenen Himmel über dem East End. Für die Dampfkutter-Piloten von London war jeder Regentag ein Glücksfall. Vor allem die Langstreckenpassagiere, die auf dem Victoria Flugfeld ankamen, wollten sich bei einem solchen Wetter nicht noch stundenlang in einer Pferdedroschke das Wasser in den Kragen laufen lassen. Also nahmen sie lieber einen Dampfkutter, wenn es irgend möglich war.
Auf dem Flug zu dem interkontinentalen Luftschiffhafen dachte Kate an die bevorstehende Weltausstellung, die in wenigen Tagen eröffnet werden sollte. Sie selbst würde sich wohl kein Ticket für dieses Großereignis leisten können. Aber die Zeitungsberichte hatten Kate neugierig gemacht.
Es gab angeblich Weltraumteleskope aus dem Königreich Spanien, Elektro-Droschken aus der Republik Frankreich und Transport-Drehflügler aus dem Kaiserreich Deutschland zu sehen. Aber auch das britische Empire hatte einiges zu bieten.
So sollten beispielsweise neue Dampfroboter vorgeführt werden. Diese Wunderwerke der Technik konnten angeblich nicht nur alle Haushaltsarbeiten verrichten, sondern verfügten auch über beste Manieren. Die Gewerkschaft der Londoner Butler hatte bereits protestiert und mit Streik gedroht. Doch der Fortschritt ließ sich nach Kates Meinung nicht aufhalten. Sie fand es viel beängstigender, dass uralte böse Kräfte immer noch ihr Unwesen trieben. Vampire gab es gewiss schon seit Menschengedenken, und …
Kate presste die Lippen aufeinander. Ihr wurde bewusst, dass sie sich nicht von den dramatischen Ereignissen der letzten Zeit ablenken konnte. Wenn sie die Augen schloss, dann stellte sie sich sofort die blutleere Leiche in dem Hotelzimmer vor.
Außerdem ging ihr dieser verflixte James Barwick nicht aus dem Kopf. Sie hegte recht widersprüchliche Gefühle für ihn. Ob sie ihm wirklich seine Behauptungen über diese geheimnisvolle Bruderschaft glauben sollte? Jedenfalls hatte James romantische Gefühle in ihrem Inneren geweckt. Kate wusste nicht, ob sie deshalb auf ihn oder auf sich selbst böse sein sollte. Eine Liebelei zwischen ihnen hatte ohnehin keine Chance. James war offensichtlich ein Gentleman, was man an seiner Kleidung und seinem Akzent deutlich erkennen konnte. Kate hingegen verdiente ihr Geld mit ihrer Hände Arbeit, der Klassenunterschied zwischen ihnen war zu groß. Und sie hatte keine Lust, für einen Mann aus der Oberschicht die Geliebte zu spielen.
Die Dampfkutter-Pilotin musste an das tragische Schicksal ihrer Freundin Eileen denken. Genau wie Kate selbst war Eileen ein Kind des aufkommenden technischen Zeitalters. Sie hatte schon als Kind lieber mit dem Rechenschieber und mit Zahnrädern als mit Puppen gespielt. Und mit ihrem Dickkopf hatte Eileen gegenüber ihren Eltern durchsetzen können, dass sie nach der Schule bei einem Konstrukteur von vollautomatischen Haushalts-Robotern in die Lehre gehen durfte. Eileen erinnerte mit ihrer schlanken sehnigen Figur eher an einen jungen Burschen als an einen Backfisch im heiratsfähigen Alter. Eileens Eltern waren schon verzweifelt gewesen, weil sie ihre Tochter bereits als alte Jungfer enden sahen. In Wales, woher Eileen stammte, heirateten die Menschen normalerweise früh, denn die anstrengende Arbeit in den Kohlegruben bescherte ihnen nur ein kurzes Leben.
Doch dann hatte sich Kates Freundin Hals über Kopf in einen gewissen Percy verliebt. Er war Kate einmal unter die Augen gekommen. Sie musste zugeben, dass Eileens Schwarm wirklich ein schöner Mann war. Sein sorgsam gebürsteter und eingewachster Schnurrbart reckte seine Spitzen keck nach oben, und das strohblonde Haar war so exakt gescheitelt, als ob der Barbier dafür Zirkel und Lineal benutzt hätte.
Doch Percy war nicht nur gutaussehend, sondern auch von ehrlosem Charakter gewesen. Er hatte Eileen monatelang eine Schmierenkomödie vorgespielt. Dieser Wüstling benutzte Kates Freundin zur Befriedigung seiner hemmungslosen Wollust. Und als Percy von Eileen genug hatte, eröffnete er ihr kalt lächelnd, dass er demnächst mit der Tochter des Earl of Nethbroke vor den Traualtar zu treten gedenke. Diese junge Lady sei nämlich eine standesgemäße Partie für ihn.
Eileens Herz war daraufhin gebrochen. Sie lief von zu Hause fort und war wie vom Erdboden verschluckt. Kate beteiligte sich selbst an der Suche, doch sie fand keine Spur von ihrer Freundin. Sie konnte nur hoffen, dass Eileen sich nichts angetan
Weitere Kostenlose Bücher