Vampyrus
den Schaum noch auf der Oberlippe hattest, du Depp“, spottete Schorsch, der Geselle. „Und du, Hansl, reiß dich jetzt am Riemen. Der Meister ist bester Laune. Ich nehme an, er hat viel für das Pergament bekommen. Freibier gibt’s nicht so oft. Also mach schnell, bevor er es sich anders überlegt.“
Hans rappelte sich auf, wischte Tränenreste aus dem Gesicht und folgte den beiden in die Empfangsstube. Der Meister hatte schon drei Becher gefüllt. „Das muss gefeiert werden“, prostete er ihnen zu. „So eine schöne Arbeit stellen wir nicht jeden Tag fertig. Und gutes Geld hat sie auch gebracht.“ Er strahlte über sein rundes Gesicht. „Ach, was soll’s? Der Peter kriegt auch ein winziges Schlückchen heute“, er goss etwas in einen weiteren Becher. „Auch wenn er immer schon aus dem Humpen sauft, der Saubub der!“ Er deutete eine Ohrfeige an und Peter duckte sich reflexartig. Sie stießen wieder an, tranken leer, und der Meister und Schorsch rülpsten voller Wohlbehagen. Peters Versuch, es ihnen gleich zu tun, endete mit einem Hustenanfall. Der Meister füllte die Becher nach und leerte seinen gleich wieder mit einem weiteren tiefen Zug.
Benommen trank auch Hans einen Becher nach dem anderen, bis die Meisterin zum Essen rief. Der Meister aß mit der Familie im ersten Stock, während die drei Burschen sich einen gefüllten Teller in der Küche holten, und ihr Essen in der Werkstatt runterschlangen. Doch heute stocherte Hans in seinem Rübenbrei nur herum, bis er Peters begehrliche Blicke bemerkte und ihm seine Portion rüber schob. Dann stahl er sich aus dem Haus.
Er hastete die Weißgerbergasse hoch und lief am Weinmarkt entlang. Es waren noch einige Händler da, die gerade erst zusammenpackten. Er fragte sie nach Meister Varn. Die meisten schüttelten nur den Kopf, doch einer deutete mit dem Daumen hinter sich Richtung Burg. „Wisst Ihr es genauer?“
„Irgendwo beim Albrecht-Dürer-Platz. Was willst du denn von dem, Bub? Er ist unheimlich, er hat den Blick. Hüte dich vor seinen Augen, sie ziehen dir die Seele aus dem Leib.“
Doch Hans rannte schon weiter, vorbei am schwarzen Christus der Sebalduskirche und den kleinen Berg hoch zu Dürers Denkmal. Der Platz war leer. Keiner war zu dieser späten Stunde noch unterwegs. Unschlüssig lehnte Hans am Denkmal und musterte die Häuser ringsum. Sie hatten zwar Nummern, aber das war es dann auch schon. Sollte er an alle Häuser anklopfen?
Während er noch unschlüssig Fenster musterte in der Hoffnung, einen der Bewohner zu erspähen, begann es zu tröpfeln. Schnell steigerte sich der Regen und prasselte wie ein Sturzbach auf ihn ein. Er rannte zum Portal der Sebalduskirche und kauerte sich in eine Ecke, damit er etwas geschützt war. Als er da so saß und zitterte, denn mit dem Regen kühlte es auch stark ab, wurde ihm das ganze Ausmaß seines Elends bewusst. Was für ein dummer Bub er doch war! Jagte einem Mann hinterher, der sein Pergament hatte. Es war ja nicht einmal seins, es gehörte Meister Varn. Selbst wenn er ihn fand und es stehlen konnte, was dann? Sie würden ihn jagen, fangen und ihm die Hand oder sogar beide abhacken. Seine Tränen mischten sich mit dem Regenwasser. Auch wenn sein Verstand ihm sagte, es sei aussichtslos, das Pergament wieder in seinen Besitz zu bekommen, sandte sein Bauch ganz andere Signale. Der eiskalte Klumpen darin schien noch mehr Kälte auszustrahlen und hinterließ, während er langsam schmolz, eine so tiefe Leere, dass Hans vor Angst geschüttelt wurde. Er musste sein Pergament haben, sonst würde er sterben. Dieser Gedanke füllte plötzlich sein Hirn aus und erschien ihm völlig klar und folgerichtig. Er hatte diese Haut bekommen, um sie zur Vollkommenheit zu führen. Sie gehörte zu ihm wie das Licht seiner Augen und die Liebe in seinem Herzen. Er hatte sie so lange in Händen gehabt, sie durch alle Stadien der Bearbeitung geführt, sie immer fühlen und liebkosen und sich an den Fortschritten erfreuen dürfen.
Zu Beginn der langwierigen Prozedur hatte er das Fell behandelt als solle es gegerbt werden. Zuerst entfernte er die Fleischreste an der Innenseite mit Schwöde. Diese bereitete er besonders sorgfältig zu, achtete peinlich genau auf das richtige Mischungsverhältnis aus Weißkalk und Wasser, bevor er sie gleichmäßig aufstrich. Es wunderte ihn ein wenig, das Fell nicht einordnen zu können. Das Stück war nicht groß, es stammte also von einem kleinen Tier, war aber weder Schaf noch Ziege. Auch
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