Vanessa, die Unerschrockene
Fußballklamotten. Du hast das Zeug selbst in der Schule getragen.“
„Ja. Ich weiß!“, schimpfte ich. „Deshalb sind die Tonnen der Nachbarn auch bis zum Rand voll, und weißt du was? Du solltest sie anrufen und dich dafür entschuldigen.“
„Wie bitte?“, lachte mein Vater und warnte mich seinerseits. „Jetzt mach aber gefälligst ’nen Punkt!“
„Nee, ich denk gar nicht dran!“, schoss ich uneingeschüchtert zurück. „Weißt du, wenn du mir nämlich in Hamburg gesagt hättest, dass ich heute mit den Wilden Kerlen trainiere, dann hätte ich gar nichts in die Mülltonnen gestopft. Das ist doch wohl klar, oder habe ich Recht?“
Ich schenkte meinem Vater ein triumphierendes Lächeln. Der saß jetzt echt geknickt neben mir. „Verflixt!“, kratzte er sich die Nase. „Da hast du wohl Recht! Da kann man nichts gegen sagen.“
Mein Grinsen wurde noch breiter, und mein Vater kratzte sich jetzt hinterm Ohr: „Doch leider ändert das gar nichts daran, dass du nichts zum Anziehen hast. Das ist doch wohl klar, oder habe ich Recht?“
Er schaute mich an, und mein Grinsen erstarb. „Mhm“, brummte er. „Damit ist das heutige Training geplatzt. Es sei denn, du erklärst dich endlich dazu bereit, deine Trübsal hier abzublasen und Geburtstag zu feiern.“
Mit diesen Worten kramte er ein Geschenk aus dem Monsterkopf hervor und hielt es mir hin. „Mhm, was ist? Willst du’s zumindest versuchen?“
Ich überlegte. Das heißt, ich tat so, als überlegte ich noch. In Wirklichkeit konnte ich mich kaum noch beherrschen. Dann rief ich „Okay!“ und riss meinem Vater das Päckchen aus der Hand. Es war weich und flach und das Geschenkpapier flog in Fetzen hoch durch die Luft. Dann hielt ich es in der Hand. Das nigelnagelneue Trikot der Bayern für die nächste Saison mit meiner Nummer 5 hinten drauf und natürlich auch mit meinem Namen.
„Oh, Mann!“, rief ich und zog das Trikothemd an. „Wo hast du das her? Das gibt es noch gar nicht zu kaufen.“
„Da hast du Recht. Aber das Trikot hat wie der Mercedes zu meinen Vertragsbedingungen gehört.“
„Das glaub ich nicht. Du flunkerst!“, lachte ich.
„Nun, vielleicht, ein bisschen“, grinste mein Vater. „Aber um die Fußballschuhe wirst du dich wohl selbst kümmern müssen. Und das wird gar nicht so einfach. Mamas Mutter kommt morgen früh.“
„Oma Schrecklich!“, rief ich entsetzt. „Das ist nicht dein Ernst?“
„Oh, doch, das ist er“, seufzte mein Vater. „Sie hat darauf bestanden, uns in den ersten schweren Tagen im trostlosen München zur Seite zu stehen.“
„Oh, nein“, seufzte ich auch. „Und gegen Oma Schrecklich ist jeder Widerstand tödlich.“
„Da hast du Recht“, seufzte mein Vater.
„Ja“, seufzte ich. „Und Fußball ist für Oma Schrecklich dasselbe wie Ballkleider und Stöckelschuhe für mich.“
„Womit du wieder mal Recht hast!“, seufzte mein Vater. „Aber weißt du, ich hab mein Leben riskiert und ihr ganz genau gesagt, was du brauchst.“
„Das hast du für mich getan?“, fragte ich überrascht.
„Ja, das hab ich“, antwortete mein Vater.
„Nein, das glaube ich nicht“, widersprach ich.
„Du hast das schlimme Wort ihr gegenüber wirklich erwähnt?
Du hast wirklich ,Fußballschuhe’ gesagt?“
„Ja. Hand auf’s Herz!“, nickte mein Vater. „Auch wenn es heute zum letzten Mal schlägt.“
„Oh, Mann!“, rief ich. „Ich liebe dich, Papa!!“, und nahm ihn ganz fest in den Arm. „Und weißt du, was noch? Ich werde jeden Tag an dich denken, nachdem sie dich aufgefressen hat.“
Ich grinste ihn an, und mein Vater grinste zurück. „Danke mein Schatz, aber ein Stück Kuchen wär mir jetzt lieber.“
Und das hatte er sich natürlich verdient. Aber zuerst musste ich mir noch was wünschen. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, meine Mutter wär hier. Dann nahm ich sie bei der Hand, so wie ich in Wirklichkeit auch die Hand meines Vaters umfasste, und wünschte mir, dass ich immer so glücklich blieb, wie ich es in diesem Moment war.
Dann blies ich die Kerzen aus, alle neun auf einmal, und in derselben Sekunde gruben sich unsere Hände in den Kuchen hinein. Wir schleckten ihn aus der hohlen Hand und lachten darüber, wie Oma Schrecklich ausrasten würde, wenn sie uns so essen sähe. Dann putzte ich meine Zähne, gab meinem Vater noch einen Kuss, rollte mich in mein Trikot und lauschte dem Pfeifen, Ächzen und Stöhnen des Hauses, das jetzt überhaupt nicht mehr unheimlich klang.
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