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Vanessa, die Unerschrockene

Vanessa, die Unerschrockene

Titel: Vanessa, die Unerschrockene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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Die Jungen auf der anderen Seite pfiffen begeistert, als ich auf den Platz lief.
    „Wow, guckt doch mal!“, riefen sie. „Die haben sogar ’ne Ersatzspielerin!“
    „Ja. Und ganze drei Minuten vor Schluss darf sie rein!“
    „Wetten, die ist bestimmt das Supertalent!“
    „Und ob sie das ist. Mein Gott, so viel hab ich seit Jahren nicht mehr gelacht.“

    Ich lief tomatenrot an und glühte wie die Bremslichter eines Ferraris, der bei 350 Sachen eine Vollbremsung macht. Doch ich dachte gar nicht ans Bremsen. Diese Mistkerle sollten ihr Wunder erleben und deshalb rannte ich los, direkt auf Amelie zu, die schwabbelnd und ächzend versuchte, mit dem Ball Schritt zu halten. Ich nahm ihr das Leder vom Fuß und stürmte mit ihm auf das Pinneberger Tor zu. Nacheinander kamen mir die Kickerdirn dabei entgegen, doch sie waren Slalomstangen für mich. Eine nach der anderen ließ ich stehen und dann  zog ich ab, direkt in den Winkel. Die Pinneberger Torhüterin, die zum ersten Mal geprüft wurde, fiel in den Dreck, und Frau  Zimperlich sprang wie ein Huhn in die Höhe und gackerte: „Tor! Tor! Tor!“
    Ich aber freute mich nicht. Ich wurde nur wütender. Noch wütender. Oh, Mist, es stand siebzehn zu eins gegen uns und das aus einem einzigen Grund: weil ich die ganze Zeit auf der Bank sitzen musste. Doch das Spiel war noch nicht vorbei. Ich hatte noch zwei Minuten. Deshalb sprang ich über die Pinneberger Torhüterin, holte den Ball selbst aus dem Tornetz he-raus und rannte mit ihm zur Mitte zurück.
    Der Anstoß danach blieb dann die einzige Ballberührung des Gegners. Schon mit dem Pfiff des Schiedsrichters stürmte ich in den Mittelkreis vor, räumte mir die Mittelstürmerin mit einem satten Pressschlag aus dem Weg und stürmte erneut Richtung Tor. Zwanzig Sekunden später hieß es siebzehn zu zwei, und auch das siebzehn zu drei schaffte ich noch. Erst dann pfiff der Schiedsrichter ab und erst dann schaute ich zu den Jungen hinüber. Was dachten sie jetzt? Hatten sie endlich begriffen, dass ich gut genug für sie war? Doch meine Hoffnung erhielt einen Dämpfer. Es kam mir so vor, als hätte ich bis gerade eben geträumt, doch jetzt stand ich mit meinem Bett unter einer eiskalten Dusche. Die Jungs waren weg. Sie waren einfach gegangen. Sie hatten es nicht für nötig gehalten, hier zu bleiben und zu sehen, was ich drauf hatte. Ich zitterte vor Enttäuschung und Wut. Und während sich meine Mannschaft mit piepsenden Stimmchen bei den Pinneberger Kickerdirn für ihre Drei-zu-Siebzehn-Abreibung auch noch bedankten, ergriff ich die Flucht und rannte unter die Dusche.
    Das heiße Wasser tat gut und beruhigte. Ich wurde wieder ganz cool, ignorierte meine schnatternden Mannschaftskolleginnen, schulterte meine Tasche, zog mir die Kapuze meines Sweatshirts über die langen, rotbraunen Zotteln und ging raus zum Fahrradständer. Dort stand – meine Fußballklamotten ausgenommen – mein bestes Stück: Mein Fahrrad. Ein waschechtes Fully von Pakka. Pechschwarz und das Hinterrad dicker bereift, so wie bei einer Enduro. Ich wusste, spätestens wenn ich losfuhr und den Wind an den Schläfen spürte, ging es mir wieder gut. Auch wenn es nichts daran änderte, dass ich mir in letzter Zeit immer häufiger wünschte, ein Junge zu sein. Ich bückte mich zu meinem Schloss herunter und stellte die richtige Zahlenkombination ein. Es war das Geburtsdatum  meiner Mutter. Sie war heute vor zweiundfünfzigeinhalb Wochen gestorben. Da sprach mich jemand von hinten an: „Du hast echt das coolste Fahrrad aus dem ganzen Verein!“
    Ich drehte mich um. Vor mir stand Alex, der Mannschaftskapitän der legendären E-Jugend-Truppe.

    Ich versuchte etwas zu sagen, doch mein Mund und meine Zunge hatten vergessen, wie man das macht. Alex grinste und im ersten Moment dachte ich, er lacht mich aus. Doch dann hatte auch er einen Kloß im Hals stecken.
    „Ähm!“, hüstelte er. „Was hältst du davon, wenn du mal bei unserem Training mitmachst?“
    Ich starrte ihn an. Ich war immer noch sprachlos und stand da wie gelähmt. Ich konnte noch nicht einmal nicken.
    „Puh!“, stöhnte Alex. „Du bist echt cool. Ich kann’s ja verstehen. Wir waren nicht gerade nett zu dir. Aber vielleicht setzt du dich morgen einfach auf dein Fahrrad, und vielleicht findet ja dein Fahrrad den Weg zu uns.“
    Er schaute mich erwartungsvoll an und ich sage euch, ich hätte ihn am liebsten geküsst. So freute ich mich. Doch stattdessen sprang ich auf mein Fahrrad und fuhr auf

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