Vanessa, die Unerschrockene
von der Seele. „Das ist eine Hexe, sage ich dir. Eine Hexe! Schau doch das Haus an, in dem sie wohnt. Das ist ein Hexenhaus! Leon, ich warn dich! Pass auf!“ Rocce bekreuzigte sich sogar zur Vorsicht und er hätte sich, so wie er aussah, noch am liebsten in Knoblauch gebadet. So verwirrt und verdattert war er.
Doch Leon war gegen all das immun. „Was für’n Quatsch! Rocce, wir sind hier nicht in Brasilien. Hier gibt’s keine Hexen und du hast auch nicht gegen das Mädchen verlor’n. Es war Marlon. Er hat euch fertig gemacht, und er war verflixt noch mal gut.“ Leon spuckte aus, und er tat das so verächtlich er konnte. „Ich hab euch doch immer gesagt: Er ist die Pest. Aber keine Angst. Das versprech’ ich dir jetzt: Gegen Fabi und mich hat selbst die Pest keine Chance, falls sie alleine auftaucht. Und so wie ich das seh, tut sie das auch. Oder zählst du das Mädchen etwa schon mit?“
Er musterte Rocce, doch der blieb dabei: „Trotzdem. Ich warne dich! Leon, pass auf!“
Da verdrehte Leon die Augen: „Komm, Fabi! Überlassen wir Rocce den Blocksbergs und rücken wir die Welt wieder gerade!“
Damit liefen Leon und Fabi unter dem Jubel der Wilden Kerle auf dem Platz auf. Marlon und ich hatten dagegen nur einen Fan auf unserer Seite, doch dieser Fan, das sage ich euch, war mindestens tausend andere wert. Ich konnte es gar nicht fassen. Doch als Marlon und ich zum Finale antraten, rief uns eine Stimme, die ich nur zu gut kannte, hinterher: „Los! Macht sie fertig! Schießt sie auf den Mond! Ja, und seht zu, dass sie nie wieder runterkommen!“, rief Oma Schrecklich und hüpfte dabei wie wild auf und ab.
Dann pfiff mein Vater das Finale an. Es wurde ein offener Schlagabtausch und wir schenkten uns nichts. Mehrmals lag jeder von uns auf dem Rasen und wälzte sich vor Schmerz hin und her, doch keiner steckte deshalb zurück. Nein, es stachelte uns nur weiter an. In der dritten Minute donnerte Fabi dann einen Ball Richtung Winkel unseres Tores, doch Marlon fingerte das Leder gerade noch mit dem Mittelfinger heraus. Danach gelang mir aus drei Metern Tordistanz ein Schuss aus der Drehung an Fabi vorbei in das rechte untere Eck. Doch Leon tauchte wie ein Delfin in die Tiefe und lenkte den Ball um den Pfosten herum. So folgte Konter auf Konter, und das Spiel war fast schon vorbei. Es liefen gerade die letzten Sekunden. Da lupfte Fabi den Ball von der Eckfahne über Marlon hinweg in unseren Strafraum hinein. Er wusste es nur zu gut: dort lauerte Leon. Das war sein Reich. Aber der Pass kam zu hoch und dazu noch in seinen Rücken. Ich atmete auf. Die Gefahr war vorbei. Da wirbelte Leon herum, schoss mit den Beinen nach oben und donnerte die Kugel mit einem Fallrückzieher aufs Tor. Ich zuckte zusammen und schnellte nach rechts. Ich flog durch die Luft und streckte mich so lang ich nur konnte und unter dem Jauchzen von Oma Schrecklich faustete ich den Ball zurück ins Feld. Dort nahm ihn Marlon direkt aus der Luft und verlängerte ihn. Im hohen Bogen segelte der Ball auf das gegnerische Tor zu. Das war jetzt leer. Niemand konnte den Schuss parieren, und das Leder senkte sich im Sturzflug auf den Kasten hinab. „Oh, mein Gott!“, schrie Oma Schrecklich und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Da prallte der Ball von der Latte zurück, und mein Vater pfiff ab.
Das Spiel war zu Ende und jetzt gab es das, was ich auf keinen Fall wollte: Ein Elfmeterschießen. Verflixt! Musste das sein? Hatten Fabi und Leon nicht erst im Halbfinale bewiesen, wie unbezwingbar sie in dieser Disziplin waren? Ja, und hatte ich nicht beim Probetraining gerade beim Elfmeterschießen kläglich versagt? Verflixt und zugenäht! Ich wollte das nicht, und ich bat Marlon darum, dass er alle Strafstöße trat. Doch der lehnte ab. Ja, und er verlangte sogar noch mehr von mir. Er wollte, dass ich für uns ins Tor gehen sollte.
„Nein! Das tue ich nicht!“, trotzte ich und Marlon zuckte nur mit den Achseln. Oh, Mann, das hatte er bestimmt von diesem Willi, seinem Trainer gelernt.
„Dann werden sie halt immer behaupten, ich hätte sie besiegt, und nicht du“, sagte er ernst und dann grinste er dieses Lächeln, das nur er grinsen kann. Oh, verflixt, wie hasste ich das in diesem Moment. Aber ich konnte nicht anders. Ich gab meinen Widerstand auf und stellte mich zwischen die Pfosten.
Leon legte sich den Ball als Erster zurecht, lief drei Schritte an und drosch die Kugel ansatzlos in den rechten oberen Winkel. Ich reagierte noch nicht einmal.
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