Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
Klosprüchen verziertem Plumpsklo auf dem Campingplatz, aber nicht auf einem an der Ostseeküste, sondern im Binnenland, es sirrte wie Mücken am nahen Waldsee, umgeben von sumpfigem Ufer, welches man zum Bade besser barfuß überquerte, um die Fußbekleidung nicht einzubüßen. Vor allem aber erklang darin die pure Spießbürgerlichkeit.
„Urlaub“ dagegen kam Wilfried fast dem Wort gleich, welches das Ziel aller Träume war, welches ein Quentchen Freiheit versprach, welches das knappste und wertvollste im Übermaß verhieß, das in dieser Gesellschaft erlangt werden konnte, und das war nicht etwa Geld, - Zeit, Zeit ohne jegliche Vorgaben.
Nicht einmal das Wort Freizeit kam heran, denn Freizeit stand allzuoft nur „organisiert“ zur Verfügung.
Ferien - das war es, wonach man sich sehnte!
Nicht zufällig enthielten die Wörter „Freiheit“ und „Ferien“ denselben Wortstamm.
„Urlaub“ hingegen hatte zu dieser Zeit zwar für Wilfried noch nicht den bitteren Beigeschmack der „erlaubten Entfernung von der Truppe“, aber er fühlte schon sehr deutlich, daß diese Erlaubnis nur für kurze Zeit gewährt wurde und man überdies damit rechnen mußte, daß sie jederzeit widerrufen werden konnte.
Für Urlaub brauchte man einen Urlaubsschein, nicht nur bei der NVA, auch im sozialistischen Betrieb mußte ein solcher ausgefüllt und unterschrieben werden.
Von einem „Ferienschein“ hingegen wußte niemand etwas, und das sollte auch so bleiben!
Als Wilfried die erste Klasse beendet hatte, machten die Kinder am ersten Ferientag einen Ausflug im Autobus. Beim Aussteigen spannte der Vater seines Freundes Ernst Schmidt junior, Ernst Schmidt senior, der eine Reparaturwerkstatt für Regenschirme führte, einen Schirm mit der Aufschrift „Hurra, Ferien!“ auf.
„Hurra, Urlaub!“ hingegen - undenkbar!
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, das war bekannt.
Die Herrenmodedesigner vom VEB Armeebedarf hatten als Farben der Saison, wenig kreativ, sich an der Vorjahren orientierend, ein dezentes Dunkelgrün gewählt, dazu passend ein Koppel aus schwerem Cord, das Schloß verziert mit dem Emblem „Hammer und Zirkel im Ährenkranz“, dessen Allgegenwärtigkeit und symbolische Kraft sämtliche Zeichen der Heraldik des Mittelalters und der Neuzeit übertraf. (Es verkörperte ja auch die größte DDR aller Zeiten!) Käppi und schwarze Stiefel komplettierten die Ausstattung des modernen Mannes im GST-Lager.
Bei der Modenschau bemerkte Wilfried an seinen Stiefeln unterschiedlich hohe Absätze.
Seine Reklamation wurde zu seiner (Un)zufriedenheit umgehend berücksichtigt, indem die Klassenlehrerin Rita Hool, eine Matrone mit Pensels Auffassungen, sogleich feststellte, die Stiefel wären prima für Sonderaufgaben geeignet, zum Beispiel für das Gehen am Hang.
(Daß durch solcherlei Stiefel orthopädische Probleme auftreten könnten, scherte natürlich niemand.)
Es begann das Gerücht zu kursieren, als Unterkleidung wäre das FDJ - Hemd vorgesehen.
Wer nur eines besaß, und das war bei allen der Fall, müßte es eben zwei Wochen lang tragen.
Als Wilfried dies vernahm, stieg ihm sogleich der vom vielen Nichtwaschen erzeugte Odor getragener Socken in die Nase.
Jahre zuvor hatte er in den Räumlichkeiten der EOS Wickersdorf bei Saalfeld einige Sommerferienwochen zugebracht, während die Eltern dort die Weiterbildung von Sprachlehrern leiteten. Wilfried hatte im Speisesaal einen Dialog zweier Kursteilnehmer mitgehört, bei dem der eine den anderen kritisiert hatte, er hätte sich während der gesamten drei Wochen des Kurses nicht ein einziges Mal die Füße gewaschen, worauf der Kritisierte erwidert hatte, er wäre an den Wochenenden stets nach Hause gefahren und hätte sich da die Füße gewaschen.
Doch die kalte Eloquenz der Klassenlehrerin war nur ein Vorgeschmack zum Auftreten, der Wortwahl und dem Verhalten der Lehrer, die im GST - Lager als Vorgesetzte und Kommandeure tätig wurden.
Wilfried sollte noch manch unangenehme Überraschung erleben.
Vorerst aber wurden die Männer seines Jahrganges, gekleidet in GST - Uniform einschließlich Stiefeln, von Mathematiklehrer Peter Münzthal, ebenfalls uniformiert, auf das gemeinsame Ziel eingeschworen - „Beste Hundertschaft“ zu werden.
Schon war der Umgangston merklich rauher geworden. Die Uniformen hatten nicht lange gebraucht, jene Reste des Geistes eines Humanistischen Gymnasiums hinfortzublasen,der mitunter noch die EOS durchwehte.
Wilfried
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