Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
Lebensjahr. Bis zum vollendeten 26. Lebensjahr konnte man eingezogen werden; wer es, salopp gesagt, bis dahin geschafft hatte, sich zu drücken, für den verlängerte sich dieser Zeitraum bis zum 30. Geburtstag.
Der Text gab keinerlei Interpretationsspielraum her.
Dann aber fiel Wilfried doch noch etwas auf:
„Wehrpflichtige, die ein Studium aufnehmen,“ hieß es in einem Nachtrag, „müssen zuvor ihren Wehrdienst abgeleistet haben.“
Das war wenigstens eine Kleinigkeit. Mit einer Einberufung während des Studiums oder irgendwelchen willkürlichen Verschiebungen konnte man Wilfried nicht drohen!
Der 11. 4. 1980 war gekommen. Unruhig hatte sich Wilfried im Bett von einer Seite auf die andere gewälzt. Keine Chance zum Ausschlafen! Ihn überkam die Ahnung, daß Armee und Schlaf kaum zusammenpassen würden.
Mit weichen Knien, pochendem Herzen und einem dicken Kloß im Hals machte er sich schließlich auf den Weg ins Wehrkreiskommando, reichlich früh, um sich keinen vermeidbaren Ärger wegen Unpünktlichkeit einzuhandeln.
Kurz darauf stand er in Unterhose zwecks Fleischbeschau bibbernd vor dem praktischen Arzt, den man für die Musterungsuntersuchung verpflichtet hatte und dem man ansah, daß er dazu Lust wie zum Kloputzen hatte.
„Wenigstens nicht nackt, so wie bei Schwejk,“ dachte sich Wilfried
Luschig untersuchte ihn der Arzt. Mal kurz in den Mund gesehen, den Gummi der Unterhose ein wenig gelupft, Akne vulgaris, Knick -, Senk -, und Spreizfüße notiert, Plattfüße hingegen nicht, denn das hätte Erleichterungen beim Marschieren zur Folge haben können.
„Als Kampfschwimmer und Fallschirmspringer nicht geeignet“ bekam er bescheinigt. Wenigstens einen Vorteil hatte ihm seine Kurzsichtigkeit verschafft. Geeignet hingegen für „Mot. - Schütze“. Das Übliche also.
Nach der Untersuchung wurde ihm geheißen, vor mehreren ergrauten Herren in Uniform Platz zu nehmen.
„Ich kenne Ihren Vater ganz gut, ich kann mir gar nicht vorstellen, daß Sie sich nicht für drei Jahre verpflichtet haben sollten,“ eröffnete der in der Mitte sitzende das Gespräch. Wilfried begann, seine auswendig gelernten Antworten aufzusagen.
Dies schützte ihn zugleich vor den Schuldgefühlen, die der Offizier ihm hatte machen wollen.
Als er geendet hatte, geschah etwas, womit er überhaupt nicht gerechnet hatte:
Alle drei nickten zustimmend.
Noch ehe er es sich versah, stand er wieder auf der Straße, den Wehrdienstausweis in der Hand.
Sollte sein Vater es geschafft haben, bei der Kommission irgendwie Einfluß zu seinen Gunsten zu nehmen? Auf seine Frage hin verneinte er dies, aber auch Jahre später, als es wirklich keine Rolle mehr spielte, ob Wilfried davon Kenntnis hatte, gab der Vater keine andere Antwort, ja er behauptete sogar, nie einen Offizier der Kommission je gekannt zu haben.
Möglicherweise aber lagen ganz andere Ursachen vor. Man hatte keinen Druck auf einen Wehrpflichtigen mit Verwandtschaft zweiten Grades in der BRD ausüben wollen, mit welchen Hintergründen auch immer. Man hatte möglicherweise auch die notwendige Anzahl für Dreijährige in diesem Jahrgang bereits erfüllt, denn Wilfried wurde im Gegensatz zu seinen Mitschülern noch in der 11. Klasse gemustert.
Und noch einen Vorteil zog Wilfried nun aus dem Langeweilejahr im Kindergarten: Bereits zum Ende der 11. Klasse hin, gerade achtzehn geworden, konnte er die Fahrerlaubnis für den Lkw machen. Danach hatte er noch genügend Zeit gehabt, dies im Wehrbezirkskommando mitzuteilen, bevor die genaue Einsatzplanung für ihn festgelegt würde.
Als er deswegen dort vorsprach, kam es ihm vor, als ob der Diensthabende ihn zunächst etwas verständnislos angeblickt hatte, sich dann aber „darauf stürzte“ den entsprechenden Vermerk in seiner Akte gut sichtbar anzubringen.
Ja, so war es gewesen, es mußte einfach so sein! Den Wunsch als Vater dieses Gedankens hätte Wilfried um nichts in der Welt anerkennen mögen.
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4. GST-Lager
Nun rückte die Generalprobe für die NVA näher-das GST Lager. Scheibe - Alsbach im Thüringer Wald würde der Ort sein, an dem es im Juli 1980 keine Sommerfrische geben sollte.
Wilfried mochte dieses Wort aus Kaiser Wilhelms Zeiten ohnehin nicht. Es schmeckte nach schalem Bier und klebriger Faßbrause mit künstlichem Himbeeraroma im Waldrestaurant, welches umgeben war von hohen Brennesselstauden, zwischen denen die Gäste ihre Fäkalienhaufen hinterlassen hatten, es roch nach kotverschmiertem und mit
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