Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)
und zu den nächtlichen Beobachtungen des Sternenhimmels mehr als so manchem Lehrer.
Allgemeine Heiterkeit aber hatte die Aufforderung des Astronomen an seinen Gehilfen hervorgerufen, eine Fotoplatte zu holen, „aber keine gute!“ Pensel hatte daraufhin, an die Lehrer gerichtet, bemerkt, daß dies sich anhöre, wie: „Hole das Kaffeegeschirr, aber nicht das gute!“ vor den schon anwesenden Gästen.
„Medizin,“ antwortete Wilfried artig.
Natürlich war im Bus Essen und Trinken verboten. Das galt aber nicht für Lehrer Pensel, der in der Limonade seine Obsidan - Tablette aufgelöst hatte, einen Beta - Rezeptoren - Blocker, in jener Zeit die Standardmonotherapie bei mäßigem Bluthochdruck. Schließlich mußten Medikamente stets pünktlich eingenommen werden!
„Zuvor gehst du drei Jahre zur NVA.“
Soeben begann der Bus ganz fürchterlich zu schlingern. Wilfried riß es fast um, gerade noch hielt er sich an der Lehne des Sitzes fest, auf dem Pensel saß und seelenruhig Limonade schlürfte.
„Man braucht doch aber nur anderthalb Jahre zur Armee,“ brachte Wilfried zaghaft hervor.
„Unsere Schüler gehen vor dem Studium alle drei Jahre,“ knurrte Pensel.
„Außerdem gibt es dann auch Stipendium.“
Wilfried war in diesem Moment froh, daß Pensel an derjenigen der Erweiterten Oberschulen unterrichtete, die er voraussichtlich nicht besuchen würde.
An seiner zukünftigen EOS waren die Verhältnisse natürlich nicht anders, hatte ihm der Vater doch kürzlich den brutalen Satz entgegengeschleudert: „Wir zwingen jedes Jahr einige junge Männer dazu, Offizier zu werden!“ aber allein eine Ansage Wilfrieds vor einem der maßgeblichen Lehrer, die automatisch zum Bekenntnis hochstilisiert worden wäre, hätte ihm immer nur zum Nachteil gereicht: Entweder hätte er sich dadurch unwiderruflich auf drei Jahre Dienst festgelegt, oder aber auf die Ablehnung einer Längerverpflichtung, was ihn sofort in die Ecke der Gegner des Sozialismus gerückt hätte, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für Abitur und Studienplatz.
Pensel schien es zu genießen, über die Schicksale seiner Schüler gebieten zu können, auch für die Zeit nach der Schule und ohne daß er jemals selbst hätte zur Armee gemußt.
Als „weißer Jahrgang“ war er für die Wehrmacht zu jung und zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der DDR im Jahre 1962 bereits zu alt gewesen, wie die Mutter Wilfried später ins Vertrauen zog.
Niemand konnte den Genossen Pensel bei seinem Eintreten für Frieden und Sozialismus stoppen, nichts und niemand, nicht einmal Mitgefühl, welches aus eigenem Erleben resultierte, niemand außer seiner Frau. Als praktizierende Katholikin umgab sie ein unsichtbarer Bannkreis, der Pensel unmißverständlich klarzumachen schien:
„Bis hierher und nicht weiter!“
Das kurze Gespräch mit Pensel, dies war der Moment, in dem Wilfried sich darüber klar wurde, daß er niemals länger als anderthalb Jahre zur NVA gehen würde, niemals, um keinen Preis, schon gar nicht für Geld, auch nicht um den Preis des Studienplatzes für Medizin.
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3. Musterung
„Die ersten beiden Wochen der Sommerferien nach Klasse elf sind für das GST - Lager und für den Unterricht in Zivilverteidigung für die Mädchen vorgesehen.
Bitte planen Sie das ein, eine Befreiungsmöglichkeit besteht nicht!“
Die Begrüßung von Schülern und deren Eltern an der EOS durch Direktor Greghorn machte unmißverständlich klar, daß man es nicht dulden würde, sollte jemand versuchen, aus der Reihe zu tanzen.
Kaum hatten alle Anwesenden die Information verarbeitet, da sauste der Hammer noch einmal auf den Amboß hernieder:
„Ab diesem Schuljahr herrscht an dieser Schule ein strenges pädagogisches Regime!“
Mit betretenen Gesichtern verließen Schüler und Eltern die Aula.
Wieder einmal hatte sich für einen kurzen Augenblick der löchrige Vorhang gehoben, der den kalten, brutalen Machtanspruch der SED im Arbeiter - und Bauern - Staat ansonsten dürftig verhüllte.
Wilfried versuchte, seine Gedanken zum Thema so weit wie möglich zu verdrängen.
Aber wie sollte das gehen, wenn nun die Einschläge immer näher kamen, näher und in immer kürzeren Abständen?
Der September des Jahres 1979 war noch nicht vorüber, da wurde eine Informationsveranstaltung in der Aula mit Offizieren des Werbezirkus „Mando“ angekündigt, deren Teilnahme man besser nicht schwänzte.
Nachdem sich der Hauptredner, ein Pykniker mit
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