Varus - Historischer Roman
alles verschwamm vor seinen Augen. Er spie einen leisen Fluch aus, versuchte, sich aufzurichten, vergeblich, fluchte nochmals. Das Pferd bewegte sich am Ufer entlang, als suchte es einen Weg hinüber, blieb hier und da stehen, schüttelte unschlüssig den Kopf, trottete schnaubend weiter. Annius vernahm das leise Gurgeln von fließendem Wasser, helle Rufe aus weiter Ferne. Er stemmte sich hoch, kalter Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus, Übelkeit stieg scharf und bitter im Hals auf. Das Pferd hatte ihn zu einem dritten Wasserlauf getragen, an dessen jenseitigem Ufer ein paar Menschen standen. Wie aufgereiht.
Durch einen trüben Schleier erkannte er lange und kurze Kleider, und sein Herz machte einen Satz. Das waren keine Barbaren. Er musste nur noch durch diesen Flusslauf, dann wäre er gerettet, doch das Leben schien aus ihm zu fließen wie Wasser aus einem weggeworfenen Schlauch. Unter Aufbietung
aller Kräfte hob er einen Arm in Richtung der Menschen, während es vor seinen Augen bedrohlich dunkel wurde, er streckte die Hand aus, verlor den Halt. Rutschte seitlich vom Pferd und schlug rücklings auf dem Boden auf, unfähig, sich zu bewegen.
Das Pferd war stehen geblieben, tauchte die Nüstern ins Gras, schnoberte und fraß. Annius sah den Wald in der Ferne, den rettenden Flussarm und die Befestigung auf dem Berg hatte er im Rücken, kraftlos lag er da und spürte, wie er still wurde, blind und kalt, sein Gehör jedoch wacher denn je. Vögel zwitscherten im Beerengestrüpp, in den Zweigen der Weiden und Erlen, der Wind ließ das Laub rascheln, das Wasser gluckste und plätscherte leise. Holz schrammte über Sand und Kies, dann Schritte, schwere und leichte.
Hände legten sich auf seine Schulter und seine Hüften, er wurde langsam auf den Rücken gerollt. Was würde geschehen, wenn der Fährmann seinen Mund öffnete und bemerkte, dass keine Münze unter seiner Zunge lag? Mehrstimmiges Gemurmel erhob sich, dann ein spitzer Schrei. Neben seiner Schulter traf etwas dumpf auf dem Boden auf, warme Hände schälten sein Gesicht aus der Kapuze, strichen ihm über Schläfen, Wangen und Hals. Er blinzelte, sah durch den Schleier das helle Oval eines Gesichts, umrahmt von dunklem Manteltuch. Die Stimme flüsterte erstickt seinen Namen, immer wieder. Thiudgifs Stimme.
Er hatte keine Münze gebraucht. Er war nicht in Vetera, sondern an jenem Ort, den die Lebenden fürchten. Bei ihr. Er wurde behutsam hochgehoben und sein Gesicht an einen in Wolle gehüllten Körper gedrückt. Saubere, gewaschene Wolle. Sie hielt ihn an ihrer Brust, die unter heiserem Schluchzen zitterte, ihr Kinn lag auf seinem Scheitel, mit einer Hand kämmte sie immer wieder sein Haar. Elysium. Während
ringsumher Geschäftigkeit aufkam, wurde sein Atem flacher, ruhiger, überließ er sich der Stille, die ihn sanft auffing.
Ein scharfer Schmerz riss ihn aus dem Schlaf. Er fuhr hoch, sah einen schwarzhaarigen Mann mit angegrauten Schläfen in gebleichter Tunica am Bett sitzen. Hinter ihm stand ein Gefreiter, der eine flache bronzene Schale trug. Beide Hände hatte der Medicus erhoben, in der Rechten hielt er ein dünnes Instrument, ein Skalpell. Das Knie pochte heiß. Annius ahnte, dass er sich im Valetudinarium eines großen Standlagers befand. Vetera, schoss es ihm durch den Kopf.
»Sachte, Soldat!«, sagte der Mann in der gebleichten Tunica. »Es tut mir leid, dich unsanft geweckt zu haben - mein Fehler.« Grinsend legte er die freie linke Hand auf seine Brust. »Marcus Avidius Panthera, Medicus Ordinarius der Einundzwanzigsten Legion - willkommen in Vetera!«
Annius warf einen Blick durch den Raum, eine weiß getünchte Krankenkammer; er lag auf einem der drei Betten, die übrigen waren unbenutzt, Kissen und Laken sorgfältig gefaltet darauf gestapelt. Man hatte ihn mit einer dünnen Leinentunica bekleidet, die Decken waren am Fußende aufgerollt, und unter das dick geschwollene Knie waren feste Tücher geschoben worden.
Der Medicus legte das Skalpell auf die Schale und trat ans Kopfende des Bettes, tastete an Annius’ Hals nach dem Puls und hob die Lider von den Augen, um die feinen Häutchen zu begutachten. Dann kehrte er zu seinem Schemel zurück.
»Wir haben es schon mit Egeln versucht, aber die konnten nicht alle schlechten Säfte heraussaugen«, erklärte er. »Ich muss schneiden, und das wird wehtun.«
Annius zuckte die Achseln, verschränkte die Arme im Nacken und lehnte sich in die Kissen; er starrte ins Leere, während
er das
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