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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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wenn ich kein Heim mehr hätte. Nach Tarraco.«
    »Tarraco! Gute Götter! Das ist eine arg weite Reise!«
    Erschrocken blickte Thiudgif auf und konnte nicht mehr verhindern, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten. Ihr ganzer Körper fühlte sich bleiern an. Mit einem Mal
sank die Hoffnung in sich zusammen wie ein ausgeleerter Schlauch.
    Caedicius legte ihr wie einem Kind den Finger unter das Kinn. »Vielleicht lässt es sich einrichten. Was eine Belohnung angeht, möchte ich lieber nichts versprechen, aber womöglich kann ich dir anders helfen, dorthin zu gelangen - und bis dahin werde ich dich gerne in meinem Haus beherbergen.«

    Wo der Wald sich lichtete, dehnte sich eine weite Aue vor Annius. Silbernen Bändern gleich schlängelten sich Flussarme im goldenen Nachmittagslicht durch eine sandige, von verstreuten Wiesen bedeckte Ebene. Weiden und Erlen wuchsen am Wasser, Schilf in den toten Schleifen. Und über dem jenseitigen Ufer, unter der sinkenden Sonne, zeichnete sich der Schattenriss eines flachen Berges ab, gekrönt von Mauern und Türmen.
    Annius richtete mühsam den Blick auf die ferne Befestigung. Vetera, das musste Vetera sein. Er fühlte weder Freude noch Erleichterung, alles war von einer wolkigen Müdigkeit überdeckt, die ihm kaum Kraft zum Atmen gewährte. Er ließ die schmerzenden Beine ein wenig pendeln, mehr konnte er nicht ausrichten, um seinen treuen Begleiter anzutreiben. Seine Leisten taten weh, als hätte jemand schwere Gewichte an seine Füße gehängt, und im geschwollenen Knie pochte ein heißer Puls. Zögernd trottete das Pferdchen vorwärts, aus dem schützenden Schatten des Waldes heraus. Als es den Hals streckte, entglitten Annius’ kraftlosen Fingern die Zügel, sodass es ungehindert weiden konnte.
    Mit einer Hand stützte Annius sich auf den Widerrist des Pferdes, in der anderen barg er das Gesicht, rieb die glühende Stirn, schob das verfilzte, strähnige Haar zurück. Vor seinen
Augen verschwamm das Bild des fernen Standlagers. Sechs Tage waren vergangen seit Sabinus’ Tod, sechs Tage, teils zu Pferd, teils zu Fuß. Ständig unterwegs. Er hatte sich nach der Sonne gerichtet, stets in der Angst, er würde im Kreis laufen, sich verirren. Zunächst hielt er sich in die Richtung, wo er den Scheitel der Sonnenbahn vermutete, durch weite Moore, in denen er sich fortwährend neue Pfade hatte suchen müssen. Die zweite Nacht, die er inmitten eines Sumpfes verbrachte, würde er nie wieder vergessen. Fahle Lichter hatten über dem Wasser geschwebt, Frösche lauter gekeckert und gequakt als eine Menschenmenge. An Schlaf war nicht zu denken.
    Dann war er in die Wälder geraten, dichte, finstere Wälder, oft unwegsam, sodass er sich einen Pfad mit dem Schwert hatte hauen müssen. Geduldig war ihm das Pferd gefolgt und hatte ihn getragen, wenn ihm die Kraft ausgegangen war oder der Schmerz im Knie jeden weiteren Schritt unmöglich machte.
    Als Annius spürte, dass er seitlich vom Pferderücken rutschte, krallte er die Hände in die Mähne, und als er sich wieder zurechtrückte, fiel das Tier in einen schaukelnden Tölt. Die Zügel baumelten, schier unerreichbar für Annius, zu beiden Seiten des Halses.
    »Halt! Halt, langsam!«, stieß er rau hervor.
    Doch das Pferd beeilte sich, den sanft abfallenden, grasigen Hang hinter sich zu lassen, und mit einem freudigen Schnauben und Quietschen sprang es in den seichten Flussarm, blieb stehen und trank gierig.
    »Trag mich hinüber«, murmelte er. »Lauf … weiter! Trag mich hinüber!«
    Gemächlich setzte das Pferd sich in Bewegung, streckte sich wohlig, während es das stehende Gewässer durchpflügte
und auf der anderen Seite das Ufer erklomm. Kaum hielt Annius sich auf dem Rücken des Tieres, das sich nun gemächlich über eine saftige Wiese weidete. Er kämpfte um eine halbwegs aufrechte Haltung, fluchte, dass er keinen Sattel hatte, denn ohne die stützenden Hörnchen war es ein mühsames Unterfangen, bis er schließlich zusammengekrümmt auf dem Pferderücken saß. So erreichten sie das nächste Ufer, querten noch einen Seitenarm des Rhenus, der immerhin so tief war, dass Annius’ Beine durch das Wasser gezogen wurden und das wohltuend kühle Nass in die Sandalen drang. Er beugte sich über den Pferdehals, reckte den linken Arm, tastete nach Wasser, netzte Schläfen und Stirn, Tropfen versickerten zwischen den struppigen Bartstoppeln auf Wangen und Kinn.
    Das Pferd trug ihn wieder an Land, wo er den Kopf hob und nach dem Ziel äugte, doch

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