Vater, Mutter, Tod (German Edition)
von einer graugetigerten Katze, die sehnsüchtig an einer Birke hinaufmiaute, konnte sie niemanden entdecken.
Also kletterte sie über den Zaun. Eine der Holzspitzen riss ihr dabei den Saum ihrer Jeans auf. Die Frau sah sich das Malheur kurz an, es kümmerte sie aber nicht weiter.
Der Gartenweg aus Sandsteinplatten, an dessen Ende die Frau nun stand, führte zu der doppelflügeligen Glastür eines Wintergartens. Auf dem Rasen stand eine Kinderschaukel. Über den danebenliegenden Sandkasten war eine schwarze Abdeckplane gespannt. Als zöge die Schaukel sie magisch an, schritt die Frau hinüber. Mit den Fingern strich sie über die Ketten und dann über die Kunststoffsitzfläche.
An den Rasen schlossen sich Blumenbeete an. Deren bunte Blüten verströmten sich überlagernde Düfte; Bienen und andere Insekten flogen emsig dazwischen umher.
Die Frau eiste sich von der Schaukel los und marschierte zielstrebig weiter zur Glastür.
Durch die Scheibe sah sie ins Innere: Große und kleine Blätter in verschiedenen Grüntönen und Blüten in allen Farben des Spektrums ließen den Raum wie einen Dschungel erscheinen. Durchs Glasdach fielen Sonnenstrahlen auf einen Bambusschaukelstuhl; ein romantisches Arrangement, das unter anderen Umständen zum Verweilen eingeladen hätte.
In einer Ecke standen ein kleiner Esstisch und drei Klappstühle. Bestens dafür geeignet, um sie an einem warmen Sonntagmorgen in Windeseile ins Freie zu tragen und auf der Terrasse zu frühstücken.
Ohne die Schönheit des Ortes zu genießen, fasste die Frau nach dem Griff an der Glastür.
Sie rüttelte sachte daran. Sie zog und drückte.
Ohne Erfolg.
Ihre Zigarette war inzwischen zu Ende geraucht. Achtlos schnippte sie den Stummel in eines der Blumenbeete.
Die einzige Möglichkeit, ins Haus zu gelangen, war, die Scheibe einzuschlagen; das wurde ihr nun klar. Doch dies hätte viel zu viel Lärm verursacht.
Sie ging um den Wintergarten herum und prüfte, ob eines der Parterrefenster offen stand oder zumindest angekippt war. Als sie das Haus umrundete, glaubte sie, bei jedem Fenster zu wissen, welcher Raum sich dahinter befand. Sie versuchte, von keinem der Bewohner gesehen zu werden, denn sie vermutete, dass jemand zu Hause war. Zwar hatte sie den zum Haus gehörenden Carport verwaist vorgefunden, als sie vor wenigen Minuten hier eingetroffen war, doch am Straßenrand hatte ein dunkelgrüner Fiat Punto geparkt. Sie hatte einen Verdacht, wem er gehören konnte.
Straße und Carport lagen an der Vorderseite des Hauses. Dort stand die Frau nun. Ohne sich einen neuen Plan zurechtgelegt zu haben, klingelte sie einfach an der Tür.
Sie lauschte: Zwei Personen bewegten sich auf sie zu. Die eine kam aus einem der Räume des Erdgeschosses, die andere rannte eine Treppe hinunter.
Ayse und Lukas.
Die Türkin öffnete die Tür. Links trug sie einen gelben Gummihandschuh, den anderen hielt sie in derselben Hand; ihre Rechte stützte sich auf die Türklinke.
Hinter ihr drängelte sich der Junge an Ayses Hüfte vorbei, um einen Blick auf die Besucherin zu erhaschen.
Die beiden standen in einem kurzen Flur. Die Tür rechts führte, wie die Frau wusste, zur Gästetoilette.
Es roch nach Fliesenreiniger.
Ayse sah die Frau zunächst abschätzig an, dann erkannte sie sie wieder.
»Ja, bitte?«, fragte sie freundlich.
»Hallo, ich möchte Lukas abholen.«
»Wie? Ich verstehe nicht.«
»Lukas. Ich sollte ihn abholen.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Hat Ihnen Herr Adam etwa nichts davon gesagt?«
Aus Ayses Gesicht verschwand das Lächeln und machte Skepsis Platz. »Nein, das hat er nicht.«
»Ach, dann hat er es sicher vergessen«, entgegnete die Frau und versuchte, sich in den Flur zu drängen.
Ayse stellte sich ihr in den Weg.
»Das ist bestimmt nur ein Missverständnis. Herr Adam wollte, dass ich mit Lukas zu ihm komme.«
»Das hat er mit mir nicht abgesprochen.«
»Hören Sie, Herr Adam wartet bereits auf mich und den Jungen. Er wird nicht darüber erfreut sein, wenn ich ihm das hier erzähle.«
Ayse versuchte, die Tür zu schließen, aber die Frau stellte ihren Fuß in den Türrahmen. Lukas beobachtete das Geschehen aufmerksam aus sicherem Abstand.
»Ich möchte, dass Sie das Haus und das Grundstück verlassen!«, sagte Ayse resolut.
»Wie bitte?«
»Sie haben richtig verstanden!«
»Nichts werde ich. Was kann ich denn dafür, wenn Sie nicht richtig informiert sind.«
Die Frau erkannte, dass sie so nicht weiterkam, und wandte sich an den
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