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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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sich jetzt im Februar schon einmal für den Sommer vor. Day runzelte die Stirn.
« Wo zum Teufel bist du die ganze Zeit über gewesen? Ich habe zwei Beziehungen und ein längeres Verhältnis mit meinem Vibrator hinter mir, seit wir das letzte Mal zusammen zu Mittag gegessen haben.» Ihre Fingernägel trommelten auf den Tisch, während sie auf eine Antwort wartete. Julia verdrehte die Augen und lächelte.
« Oh, oh. Die Berichte über deine akrobatischen Einlagen mit heiratsfähigen Anwälten aus Miami verkrafte ich ja noch, aber ich will definitiv nichts über deine Liebschaft mit einem Massagegerät erfahren», sagte sie fröhlich.
« Also willst du nur von den guten Zeiten berichtet bekommen», erwiderte Dayanara lachend. Doch schon kurz darauf setzte sie wieder ihren Schmollmund auf und machte damit deutlich, wie verletzt sie war. Seit der Anhörung zur Prüfung der Prozessfähigkeit – und damit auch ihrer letzten Unterhaltung – waren einige Wochen vergangen. Julia hatte ihre Freundin zwar nicht direkt gemieden, aber auch nicht unbedingt nach ihr Ausschau gehalten. Seit Weihnachten war alles so furchtbar kompliziert geworden. Seit Andy. In den letzten Wochen und Monaten hatte sie verzweifelt versucht, irgendwie das zermürbende Doppelleben auf die Reihe zu bekommen, das sie derzeit führte. Wann immer sie es sich zeitlich und finanziell leisten konnte, flog sie übers Wochenende nach New York. Alles und jeder andere musste von Montag bis Freitag in ihr Leben passen. Sie unterdrückte ein Gähnen. Wenn sie heute Nachmittag nicht für eine Besprechung im Fall Marquette und für eine Antragsuntersuchung hätte wiederkommen müssen, wäre sie in New York geblieben. Stattdessen hatte sie den Flieger um sechs Uhr morgens genommen und war vom Flughafen aus direkt ins Büro gefahren.
« Dafür, dass du einen Mordfall ersten Grades vertrittst, bist du ziemlich schlecht zu erreichen», nörgelte Day.
« Ich bin bestimmt ein Dutzend Mal an deinem Büro vorbeigegangen, habe Nachrichten auf deiner Mailbox hinterlassen, auf deinem Anrufbeantworter und bei deiner Sekretärin. Wahrscheinlich habe ich inzwischen eine Persönlichkeitsstörung entwickelt und beginne als Nächstes zu stalken. Bitte sag mir, ob es an mir liegt oder ob es das berühmte Ich-habe-jetzt-einen-Freunddeswegen-vernachlässige-ich-all-meine-Freundschaften-Syndrom ist? Bei Letzterem hasse ich dich, bei Ersterem mich selbst.» Julia setzte ihre Brille ab, rieb sich über die Augen und fragte sich, wie sie diese Unterhaltung angehen sollte. Sie hatte in den letzten Wochen etwa ein Dutzend Mal das Telefon in die Hand genommen, um Day anzurufen, es jedoch jedes Mal wieder weggelegt. Sosehr sie sich auch wünschte, die Bürde ihrer Familiengeschichte mit jemandem teilen zu können, wusste sie doch, dass niemand die furchtbaren Ereignisse und deren Auswirkung verstehen würde. Ihr ganzes Leben – wer sie war, woher sie kam – war eine Lüge. Selbst ihr Name war nur zur Hälfte echt. Es gab zu viele Lügen, die sie erzählt, zu viele Geheimnisse, die sie bewahrt hatte. Sie konnte jetzt nicht einfach wieder von vorn anfangen. Day kannte und mochte sie als eine vollkommen andere Person. Ein Haus, das nicht auf festem Grund gebaut war, stürzte irgendwann zusammen – und auf die gleiche Weise war auch eine Beziehung zum Scheitern verurteilt, die auf Täuschung basierte. Und in Julias Fall basierte jede Beziehung, die sie in ihrem Leben aufgebaut hatte, auf Lügen – von Kollegen über beste Freunde und Liebhaber bis hin zu ihrem Friseur. Selbst wenn sie Dayanara oder Rick oder irgendjemand anderem von den brutalen Morden an ihren Eltern erzählen würde, könnte sie ihnen doch niemals das volle Ausmaß dieser Tat begreiflich machen. Außerdem könnte sie die stillschweigende Verurteilung ihres Bruders, die unweigerlich folgen würde, nicht ertragen. Er war in ihr Leben zurückgekehrt, und sie war alles, was er hatte. Die Beziehung zu ihm war die einzige ehrliche Verbindung, die noch Bestand hatte.
« Erstens ist es in etwa so sinnvoll, bei Thelma eine Nachricht zu hinterlassen, wie deine Zähne zu putzen, bevor der Zahnarzt sie dir zieht», begann sie.
« Zweitens war ich ziemlich viel unterwegs, deswegen erreichen mich Nachrichten zu Hause momentan nicht. Und drittens liegt es nicht an dir oder an mir oder an sonst irgendwem, Day. Seit Weihnachten haben sich die Dinge überschlagen. Ich – ich habe einfach wahnsinnig viel zu tun, das ist alles. Es tut mir

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