Vater unser
leid, dass ich nicht angerufen habe.» Sie sah ihre Freundin an.
« Wirklich.» Dayanara betrachtete sie einen Augenblick lang wachsam.
« Welche Dinge?»
« Verhandlungen. Anhörungen. Besprechungen.» Sie blickte auf den Stapel Gesetzesbücher vor sich.
« Außerdem weißt du doch, wie verrückt Farley ist, und meine Oberstaatsanwältin hat es auch auf mich abgesehen. Langsam glaube ich, dass sich alle gegen mich verschworen haben.»
« Hmm ...» Dayanara lehnte sich zurück und kippelte auf den Hinterbeinen ihres Stuhls. Dann sagte sie mit zusammengekniffenen Augen und vor der Brust verschränkten Armen:
« Es steckt mehr dahinter als viel Arbeit und ein verrückt gewordener Farley. Du siehst scheiße aus.»
« Es steckt immer mehr dahinter», erwiderte Julia.
« Aber das ist alles, was ich dir im Moment dazu sagen kann.» Day lächelte.
« Ich bin eine Egoistin. Solange es nicht an mir liegt, gebe ich mich damit zufrieden. Im Moment jedenfalls.»
« Ich versichere dir, dass es nicht an dir liegt. Aber warum bist du eigentlich an einem Sonntagmorgen hier?», fragte Julia. Day verzog gequält das Gesicht und ließ sich mit dem Stuhl wieder nach vorn fallen.
« Ich muss nächste Woche eine Verhandlung mit einem dämlichen Angeklagten und seinem noch viel dämlicheren Anwalt führen, und ich habe noch überhaupt nichts dafür getan.» Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die ausgebreiteten Fallsammlungen auf dem Tisch.
« Ich nehme mal an, deine Entschuldigung heißt Todesarzt?» Julia seufzte.
« Marquettes Anwälte haben Freitag einen Antrag auf Hartprüfung gestellt, weswegen Rick am Dienstag eine Anhörung vor dem Bezirksgericht hat. Farley will der Verteidigung keinen Aufschub geben, daher hofft Levenson jetzt, auf diese Weise die Verhandlung verzögern zu können. Er hat die französische Regierung auf seiner Seite, die gestern eine Stellungnahme zum Prozess abgegeben hat. Die Detectives hätten gegen das Wiener Übereinkommen verstoßen, weil sie das französische Generalkonsulat in Miami nicht auf Marquettes Verhaftung aufmerksam gemacht haben. Außerdem verstoße es gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren, dem französischen Konsulat zu verbieten, Marquette eine angemessene psychiatrische Unterstützung zukommen zu lassen.» Sie atmete langsam aus.
« Das ist ein Riesenwirbel, der zwar zu diesem Zeitpunkt keinerlei Wirkung mehr vor Gericht hat, der aber meinen ersten Mordfall offiziell zu einem internationalen Vorfall macht. Und zwar zu einem großen.»
« Genau das Gleiche sagt auch die Titelseite der gestrigen New York Times. Herzlichen Glückwunsch. Ich habe gelesen, dass dieser Fall sogar vor dem Internationalen Gerichtshof enden könnte. Wahrscheinlich schnappen uns die Paparazzi jetzt alle guten Parkplätze vor dem Bundesgericht weg. Aber besser dort als hier. Diese Verhandlung wird zu einem Albtraum, und dabei geht es gerade erst los», sagte Day und schmunzelte.
« Puh. Bundesgericht. Verträge. Abkommen. Verstöße gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren. Ich bekomme immer noch posttraumatische Stressanfälle, wenn ich an die langen Nachmittage in den Verfassungsrecht-Seminaren zurückdenke. Ich habe nur deswegen eine Drei bekommen, weil ich mit dem Professor geschlafen habe.» Julia lachte.
« Oje. Sämtliche Professoren in Verfassungsrecht sind alt und miesepetrig. Und es würde mich wundern, wenn sie in der Lage wären, ohne Hilfe ihrer Assistenten einen BH aufzubekommen. Außerdem reden sie ausschließlich in abstrakten Begriffen. So verzweifelt kannst du nicht gewesen sein, Day.»
« Mein Professor damals sah wirklich scharf aus, da war es egal, worüber er geredet hat. Und glaub mir, mit seinen Händen konnte er auch ganz gut umgehen.»
« Wie ist die Sache ausgegangen?»
« Etwas weniger abstrakt ausgedrückt – ich war zu dumm für ihn. Entweder das, oder es war nicht nur meine Abschlussklausur, die er mit Drei bewertet hat.» Day sah erneut argwöhnisch auf den Stapel Bücher. Rick hat am Dienstag eine Anhörung?» Julia zuckte mit den Schultern.
« Du weißt doch, ich bin bloß die Hilfsarbeiterin. Ich muss mir die Anhörungen erst verdienen.»
« Ich erinnere mich an eine Hilfsarbeiterin, die vor ein paar Monaten eine Anhörung ganz allein gemeistert hat. Ich denke, du hast dein Lehrgeld mehr als genug bezahlt. Stattdessen sollte Rick hier sein und für dich recherchieren.»
« Danke für das Kompliment, aber zettele jetzt bitte keine Rebellion an. Der Leiter des Büros des
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