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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Fenster schienen wie mit Zuckerguss überzogen, und die Steinwände hatten die Farbe von Pfefferkuchen. Von außen sah es beinahe zu perfekt aus – zu verführerisch, um widerstehen zu können. Doch wenn am nächsten Morgen die Sonne über der Lichtung aufging, würde die Polizisten, die langsam die unbefestigte Auffahrt hinauffuhren und schließlich die Eingangstür öffneten, ein Bild des Grauens erwarten. Die Nachtluft war erfrischend kühl. Es roch nach verbranntem Holz, Kompost und süßlich duftendem Jasmin. Durch die Baumwipfel über ihm drang kein Lichtstrahl, und die Äste und Zweige rauschten leise im Wind. Doch außer dem sanften Flüstern der Bäume war kein Laut zu hören. Selbst die beiden Pferde im Stall regten sich nicht, so als ahnten sie, was geschehen würde. Er beobachtete, wie sie an der Spüle stand und das Geschirr abwusch, das Haar zu einem honigfarbenen Pferdeschwanz gebunden. Eines der Fenster war nur angelehnt, und er vernahm die Geräusche fließenden Wassers, klirrender Teller und ihre Stimme, wie sie leise
« Are you lonesome tonight» summte. Es erregte ihn. Er war bereits seit Stunden hier und hatte ihr dabei zugesehen, wie sie das Abendessen zubereitete, ein Glas Wein trank und schließlich die Kinder ins Bett brachte und jedem eine Geschichte vorlas. Jetzt neigte sich der Abend dem Ende zu. Er kämpfte den Schwärm aufgeregter Schmetterlinge in seinem Bauch nieder, die sein Herz schneller schlagen ließen. Die Vorfreude war das Schönste und zugleich Schlimmste, während man wartete; es war die Erregung der Jagd, die einem die Sache versüßte. Sie schloss das Fenster, um die ungewöhnliche Kälte auszusperren, die bereits zum Thema aller Nachrichtensendungen in Florida geworden war. Dann schaltete sie das Licht in der Küche aus, und die Veranda versank im Dunkel. Kurz darauf ging das Licht im Schlafzimmer an. Es schien sie nicht zu kümmern, dass man sie durch die Fenster beobachten konnte. Hier lebte kilometerweit niemand außer ihr. Sie knöpfte ihre Bluse auf, zog den BH aus und schlüpfte aus ihrer Jeans, die sie ordentlich faltete und auf eine Bank am Fußende ihres Betts legte. Nur mit einem seidenen, roten Slip bekleidet, verweilte sie noch für einen Augenblick am Fenster und gab ihm so die Möglichkeit, ihre großen, wunderschönen Brüste zu betrachten. Dann zog sie sich ein T-Shirt über und ging ins Bad. Arme Charlene. Oder Charley, wie sie gern genannt werden wollte. Sie trug immer noch ihre Spitzenunterwäsche, obwohl es niemanden mehr gab, dem sie damit eine Freude hätte machen können. Er hatte die Eigentumswohnung in der Stadt bekommen, sie das Haus im Wald. Wo ihr niemand außer ihren beiden Kindern einen Gute-Nacht-Kuss gab. Wo sie niemand beschützte, wenn die Schatten des Waldes plötzlich zum Leben erwachten. So verletzlich. So einsam. Sie brauchte dringend ein wenig Gesellschaft, mit der sie das neue Jahr einläuten konnte. Es dauerte nicht lang, bis das kleine Häuschen ganz im Dunkeln lag. Er löste sich lautlos aus den Schatten des Waldes und überquerte die Wiese, vorbei an der Schaukel und dem Plastikhaus, ganz vorsichtig, um die schlafenden Pferde nicht zu wecken. An der Hintertür angelangt, drehte er den Türknauf um und trat ein. Natürlich hatte sie nicht abgeschlossen. Hier draußen im Wald war es sicher. Schließlich lebte hier kilometerweit niemand außer ihr. Angst: wie Metall auf Metall in meinem Gehirn Paranoia: sie lässt mich rennen, fort, fort, fort, und schnell wieder zurück, um zu sehen, ob man mich erwischt hat oder anlügt oder auslacht – ha ha ha. Das Riesenrad in Looney-Land ist nicht sehr lustig. Ein paranoid-schizophrener Patient
KAPITEL 67
    HATTEN WIR Streit, und niemand hat es mir gesagt?» Julia blickte vom Federal Reporter auf, in den sie schon den ganzen Morgen über vertieft gewesen war. Dayanara Vega setzte sich auf den Platz neben ihr in der leeren Rechtsbibliothek des Graham Building.
« Ich kann nicht fassen, dass du es wirklich bist», flüsterte Day, obwohl sie allein in der Bibliothek waren. Dann stieß sie mit einem Finger gegen Julias Arm.
« Vielleicht bist du eine Erscheinung, wie die Bibliothekarin in Ghostbusters.»
« Hi», erwiderte Julia mit einem überraschten, wenn auch müden Lächeln. Es war ein wundervoller Sonntagmorgen, an dem lediglich Workaholics und einsame Singles ins Büro gingen. Alle anderen tummelten sich wahrscheinlich am Strand, kurierten ihren Kater vom Samstagabend aus und bräunten

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