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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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nickte beifällig. Sich verstecken, das fand er gut.
    Diese Unterrichtsstunden setzten sich auch außerhalb unserer vier Wände fort, wo Dad mir die Kunst des Feilschens beizubringen versuchte, obwohl das in unserer Gesellschaft nicht gerade üblich war. Ich weiß noch, wie er mit mir an der Hand eine Zeitung kaufen ging und den verdatterten Verkäufer anschrie: »Keine Kriege! Keine Wirtschaftskrisen! Keine Massenmörder auf freiem Fuß! Wofür verlangen Sie dann so viel Geld? Ist doch gar nichts passiert!«
    Ich erinnere mich auch daran, wie er mich auf einen gelben Plastikstuhl setzte und mir die Haare schnitt; für ihn war das etwas, das mit Hirnchirurgie absolut nichts zu tun hatte, und deshalb war es für ihn selbstverständlich, dass ein Mann mit zwei Händen und einer Schere auch Haare schneiden konnte. »Ich werfe mein Geld doch nicht für einen Friseur raus, Jasper. Was gibt es da zu können? Klar, an der Kopfhaut ist Schluss.« Mein Vater, der Philosoph - nicht mal die Haare konnte er einem schneiden, ohne sich darüber tiefsinnige Gedanken zu machen. »Haare sind das Symbol für Kraft und Vitalität, auch wenn es viele dynamische Glatzköpfe auf Erden gibt und auch Menschen mit langen Haaren apathisch sein können. Warum schneiden wir sie überhaupt? Was haben wir gegen Haare?«, fragte er etwa und ging mit blindwütigem, willkürlichem Schnippschnapp auf meinen Kopf los. Auch seine eigenen Haare schnitt Dad selbst, oft ohne einen Spiegel zu Hilfe zu nehmen. »Ich will ja keinen Preis damit gewinnen«, sagte er immer, »es soll nur kürzer werden.« Wir waren Vater und Sohn mit aberwitzigen, schief geschnittenen Frisuren - lebende Beispiele für einen der Lieblingsgrundsätze meines Dads, den ich erst später so ganz verstehen sollte: Verrückt auszusehen macht frei.
    Spätabends dann wurden die Lektionen des Tages mit einer Gute-Nacht-Geschichte gekrönt, die er sich selbst ausdachte. O Mann! Es waren alles düstere und gruselige Geschichten, deren Held unverkennbar mich darstellen sollte.
    Ein typisches Beispiel:
    »Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Kasper. Kaspers Freunde waren sich einig: Alle hassten sie den fetten Jungen, der ein Stück die Straße runter wohnte. Kasper wollte natürlich weiter dazugehören, deswegen begann er, den fetten Jungen ebenfalls zu hassen. Dann stellte Kasper eines Morgens beim Aufwachen fest, dass sein Gehirn zu faulen begonnen hatte und ihm als quälender Ausfluss aus dem Hintern tropfte.«
    Armer Kasper! Ihm blieb wirklich nichts erspart. In dieser Serie von Gute-Nacht-Geschichten wurde er erschossen, erstochen, niedergeknüppelt, in kochende Flüssigkeiten getaucht, über Felder voll Glasscherben geschleift; ihm wurden die Fingernägel herausgerissen, Kannibalen labten sich an seinen Eingeweiden, er verschwand, implodierte und litt wiederholt an epileptischen Anfällen und vorübergehender Taubheit. Die Moral war stets ein und dieselbe: Wer sich ohne nachzudenken der öffentlichen Meinung anschließt, stirbt eines überraschenden, grässlichen Todes. Eine Ewigkeit hatte ich schreckliche Angst, irgendwem auch nur irgendwie zuzustimmen, selbst wenn es nur um die Uhrzeit ging.
    Nennenswerte Erfolge blieben Kasper verwehrt. Gut, mitunter gelangen ihm kleine Etappensiege, für die er belohnt wurde (mit zwei Goldmünzen, einem Kuss, der Anerkennung seines Vaters), aber nie, nicht ein einziges Mal, gewann er die Schlacht. Wie ich heute weiß, lag dies daran, dass Dads Lebensphilosophie ihm selbst so gut wie keinen Erfolg eingebracht hatte: keine Liebe, keine Ruhe, kein Gelingen, kein Glück. Dauerhaften Frieden oder einen endgültigen Sieg, das konnte Dad sich einfach nicht vorstellen; er hatte das nie erlebt. Daher war auch Kasper von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er hatte keine Chance, der arme Kerl.
     
    Eine der denkwürdigsten Lektionen begann damit, dass Dad mit einem olivgrünen Schuhkarton unterm Arm in mein Zimmer kam und verkündete: »In der heutigen Stunde geht es um dich.«
    Er nahm mich mit in den Park gegenüber unserem Mietshaus, eine dieser deprimierenden, verwahrlosten städtischen Parkanlagen, die immer aussehen, als hätte in ihnen ein Krieg zwischen Kindern und Junkies getobt, bei dem die Kinder den Arsch vollgekriegt hatten. Totes Gras, kaputte Rutschen, ein paar verwaiste Schaukeln, die sich in einander verhakten, rostigen Ketten im Wind drehten.
    »Pass auf, Jasper«, sagte Dad, nachdem wir uns auf eine Bank gesetzt hatten. »Es wird

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