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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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sich zwei Jungen um eine schwarze Wasserpistole stritten.
    Einer der Jungen sagte: »Du kannst der Polizist sein. Ich will Terry Dean sein.«
    Der andere Junge erklärte: »Nein, du bist der Cop. Ich bin Terry Dean.«
    Ich wollte mitspielen, deshalb sagte ich: »Ich könnte doch Terry Dean sein. Ich heiße ja eh schon so.« Überheblich und etwas verschlagen guckten sie mich an, der typische Blick von Achtjährigen eben. »Ich heiße Jasper Dean«, ergänzte ich.
    »Bist du mit dem verwandt?«
    »Ich glaub nicht.«
    »Dann verpiss dich.«
    Das tat weh. »Na gut, dann bin ich eben der Cop«, sagte ich.
    Das ließ sie aufhorchen. Jeder weiß, dass beim Räuber-und-Gendarm-Spiel der Räuber automatisch der Held ist und die Polizisten nur verheizt werden. Und davon kann man nie genug haben.
    Wir spielten die ganze Mittagspause über, und als die Glocke läutete, offenbarte ich meine ganze Ignoranz, indem ich fragte: »Wer ist eigentlich Terry Dean?« - eine Frage, die meine beiden Spielkameraden das Allerletzte fanden.
    »Scheiße! Du weißt nicht, wer das ist?!«
    »Der größte Verbrecher auf der ganzen Welt.«
    »Er war Bankräuber.«
    »Und ein Killer!«, sagte der andere, bevor sie grußlos verschwanden, so wie Freunde, mit denen man einen Nachtclub besucht, verschwinden, sobald sie jemanden zum Abschleppen gefunden haben.
    Als ich am Nachmittag nach Hause kam, traf ich meinen Dad dabei an, wie er mit einer Banane gegen die Kante eines Schranks schlug, was ein lautes Klopfgeräusch verursachte.
    »Ich habe eine Banane tiefgefroren«, erklärte er. »Kannst ja mal reinbeißen... wenn du dich traust.«
    »Bin ich mit dem berühmten Bankräuber Terry Dean verwandt?«, fragte ich.
    Die Banane fiel wie ein Zementbrocken zu Boden. Dad sog die Lippen ein, bis sie fast in seinem Mund verschwanden, und von irgendwo da drinnen kam eine leise, hohle Stimme, kaum zu vernehmen: »Er war dein Onkel.«
    »Mein was? Mein Onkel? Ich hab einen Onkel?«, fragte ich ungläubig. »Und der ist ein berühmter Bankräuber?«
    »War. Er ist tot«, sagte Dad, und dann: »Er war mein Bruder.«
    Es war das erste Mal, dass ich von ihm hörte. Terry Dean, Polizistenmörder, Bankräuber, Volksheld, Idol aller, die sich einsam hochboxen müssen - er war mein Onkel, der Bruder meines Vaters, und er sollte einen dunklen Schatten auf unser beider Leben werfen, einen Schatten, der lange Zeit dafür sorgte, dass keiner von uns eine anständige Bräune entwickeln konnte.
    Wenn Sie Australierin oder Australier sind, werden Sie zumindest schon mal von Terry Dean gehört haben. Wenn nicht, dann kennen Sie ihn nicht, denn obwohl in Australien jede Menge los ist, ist das, was dort los ist, für die Weltpresse etwa so interessant wie die Schlagzeile »Biene stirbt in Neuguinea nach Kollision mit Baumstamm«. Das ist nicht unsere Schuld. Wir sind einfach zu weit weg. Ein berühmter australischer Historiker hat das einmal die »Tyrannei der Entfernung« genannt. Er meinte damit, dass Australien einer von allen vergessenen alten Frau ähnelt, die tot in ihrer Wohnung liegt. Sollten alle Einwohner Australiens in genau derselben Sekunde einem Herzinfarkt erliegen, die Simpson-Wüste verdursten, der Regenwald ertrinken und das Barrier Reef ausbluten, könnte es Tage dauern, bis der Gestank, der sich über den Ozean hin zu unseren pazifischen Nachbarn verbreitet, jemanden veranlassen würde, die Polizei zu benachrichtigen. Wenn nicht, müssten wir warten, bis die nördliche Hemisphäre sich endlich über die unbeantwortete Post beschwert.
    Dad war nicht bereit, mit mir über seinen Bruder zu reden. Jedes Mal, wenn ich Genaueres wissen wollte, seufzte er lang und ausgiebig, als sei dies ein weiterer Tiefschlag, den er nicht brauchen konnte. Also begab ich mich selbst auf Spurensuche.
    Zuerst fragte ich meine Klassenkameraden, doch ich erhielt Antworten, die so stark voneinander abwichen, dass ich sie allesamt nicht weiter ernst nahm. Dann durchsuchte ich die dürftige Sammlung von Familienfotos, die in dem grünen Schuhkarton im Dielenschrank lagen und die ich bisher nur flüchtig zu sehen bekommen hatte. Dabei fiel mir auf, dass drei der Fotografien verstümmelt worden waren, um den Kopf von jemandem zu entfernen. Eine Operation, die man kaum als gelungen bezeichnen konnte. Auf zwei Aufnahmen waren immer noch Hals und Schultern zu erkennen, und die dritte bestand einfach aus zwei Hälften, die mit braunem Paketband schlampig zusammengeklebt waren. Ich schloss

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