Venus
das Tellerwaschen, die Morgenzeremonien, die Verlobung, sind ein Fiebertraum, ein Intermezzo, eine mit Moos bewachsene Lebensweiche. Sie läuft die Treppe hinunter. Sie verlässt die Tempelkirche mit ein paar Kilo mehr auf den zarten Knochen, mit hunderten von tolldreisten Sommersprossen, mit von scharfer Lauge ruinierten Händen, mit einem Kopf, in dem Millionen von Libellen schwirren, mit einem offenen Herzen, wund, weich geklopft wie ein Schweineschnitzel. Sie ist barfuß. Barfuß ist sie gekommen, barfuß geht sie wieder weg. Sie läuft in ihre Prinzessinnenwelt, in Richtung Espresso und Rucolasalat mit Zitronensaft auf einem Extra-Teller. Sie läuft die Straße hinauf, so wie sie damals die Straße hinuntergelaufen ist, vorbei an Paolo’s Car Repair, Hairdresser unisex, Dry Cleaner and Landromat, Theodoro Grocery, King’s Pharmacy, Ugly Coyote Thrift Shop, Dolphin Gym, Laptop Repair und Paolo’s Deli.
Verena geht nach Hause. Venus geht von zu Hause weg.
Epilog
Toga und Bliss Swami werden in der folgenden Nacht Sun Baba am betoneingefassten Ufer des East River verbrennen, auf dass dessen Seele entweichen und Richtung Varanasi fliegen möge. Es wird eine ziemliche Schweinerei, zumal beide unerfahren sind mit der Prozedur. Unglücklicherweise werden die beiden, als nach drei Stunden die heilige Arbeit fast getan und nur noch ein Lendchen des alten Yogi auf dem Barbecue-Grill schmort, von der Polizei aufgegriffen und in einen Satanskult-Prozess verwickelt, der monatelang die New Yorker Gazetten füllen wird. Eine anonyme Spenderin wird ihnen jedoch den besten New Yorker Anwalt zahlen, sodass beide schließlich, sich auf ihre Glaubensfreiheit berufend, davonkommen, aber den Bundesstaat verlassen müssen.
Sie werden die Tempelkirche zum heiligen Franz aufgeben und ihre Wege werden sich trennen. Der Bliss Swami wird westwärts nach Kalifornien ziehen und dort eine Filiale der Glücklichen Sklaven Gottes eröffnen, die den etwas gesellschaftsfähigeren Namen »One God Community« erhält. In den kommenden zwanzig Jahren wird die Gemeinde im spirituell aufgeschlossenen Kalifornien enorm viel Zuwachs erhalten, vor allem von Hollywoodstars, die heute noch ahnungslos am Sunset Boulevard kellnern.
Der Bliss Swami wird Venus nie wiedersehen. Er wird bis zu seinem Tod im Zölibat leben, er wird viel beten und viel knien. Seine Knie werden ganz kaputt sein, und er wird Gott dafür danken. Er wird sich überhaupt sehr oft bei Gott bedanken und er wird sehr viel lächeln. Die Mala wird eine Million Mal durch seine rechte Hand gleiten, Perle für Perle, im Gebetssack, aus dem der Zeigefinger herausspießt. Der Swami wird seine blauen Augen unter buschigen Brauen tief in die Vedischen Schriften versenken. Seine gigantische Madonna, die er mit 60 in den Küstenfelsen hauen wird, sein letztes großes Werk, wird deutliche Züge unserer Venus tragen. Bliss Swami wird im Alter von 78 Jahren sterben, ganz undramatisch, im Schlaf, im Traum, im Bett. Wir wissen nicht, wem er seinen letzten Gedanken schenken wird, aber wir haben eine romantische Hoffnung. Er wird als schwedischer Dokumentarfilmer wiedergeboren werden, der Mitglied des Freimaurerordens ist.
Maria Magdalena wird am Morgen nach dem Black-out verschwunden sein. Sie wird beschließen, dass sie lange genug gebüßt hat für den Tod ihres Großvaters, dass sie lange genug in der Fremde war. Sie wird sich wieder Cio-Cio-San nennen, wird statt der Brille Kontaktlinsen tragen, ein Zimmer in einer Studenten-WG in Harlem finden, sich an der Columbia University einschreiben und einen Job bei McDonald’s auf der Bowery annehmen. Sie wird sich schminken und keinen Büstenhalter mehr tragen. Sie wird sich die Haare färben und sich einen Schmetterling auf den Nacken tätowieren lassen. Sie wird sonntags im Gospel-Chor einer Methodistenkirche singen und nach Buddha und Krishna in Jesus ihren wahren Erlöser finden. Sie wird einen Privatdetektiv bezahlen,der ihre beiden noch lebenden Schwestern auftreibt, eine kinderlos verheiratet mit einem Alkoholiker in Deutschland, die andere in einem Bordell in Bangkok. Sie wird eisern darauf sparen, nach Thailand zurückzugehen.
Fünf Jahre später wird Cio-Cio-San Bangkok wieder betreten, einen Uni-Abschluss und ihre Scheidungsurkunde im Gepäck. Sie wird ein Haus kaufen und dort mit ihren beiden alten Schwestern leben. Sie wird wirtschaftlich unabhängig sein, wird für eine christliche Mission Analphabeten das Lesen und Schreiben
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