Vera Lichte 05 - Tod eines Heimkehrers
Erkenntnis unseres Berufes«, sagte Pit, »diese Zufälligkeit einer kriminellen Karriere.«
»Sprichst du von den Tätern?«
»Eigentlich hatte ich angefangen, von Bimbi und Marta zu sprechen.«
»Leg dich noch ein bisschen auf deine Liege«, sagte Kummer, »damit die Gedanken klarer werden. Ist wirklich ein interessanter Ansatz.«
Pit Gernhardt grinste. »Ich habe dich schon nicht leiden können, als du das erste Mal zur Tür hereingekommen bist«, sagte er.
»Du hast es mir ganz schön schwer gemacht«, sagte Kummer.
»Ich fand dich zu jung und zu arrogant. Außerdem hattest du einen nagelneuen Dienstwagen.«
Kummer parkte den nicht mehr ganz so neuen Mondeo vor einem griechischen Lokal ein. Der Wirt trug gerade ein paar Kisten Gemüse hinein. Er drehte sich zu ihnen um und musterte sie.
»Dabei sind die Leute hier durchaus neugierig«, sagte Gernhardt. »Ihnen müsste doch auch die Gorska aufgefallen sein.«
»Hätte sie keinen Ausweis in der Tasche gehabt, wir wüssten heute noch nicht, wer die Tote vom Altonaer Bahnhof ist.«
»Den hatte Bimbi auch in der Tasche«, sagte Gernhardt.
»Das spricht doch für die Zufälligkeit der Opfer«, sagte Kummer. »Opfer, die nicht auf den Täter zurückführen. Ihm ist es wohl völlig egal, dass wir sie schnell identifizieren.«
»Komm nach oben«, sagte Pit, »vielleicht spricht das Kreuz zu uns.«
Zuerst sprach das Siegel. Das Türschloss war zwar noch überklebt, doch das Siegel deutlich angegriffen.
»Gibt also doch Leute, die sich für die Gorska interessieren«, knurrte der Herr Hauptkommissar. Er löste das Siegel. Das Schloss war unversehrt.
»Und einen Schlüssel haben sie auch«, sagte Kummer.
Die Wohnung schien unverändert. Nur das Weihwassergefäß trocknete allmählich aus. In der Schublade des Sekretärs fehlte der Schmuck. Auch die Brosche samt Nadelkissen fehlte. Konnte jemand das Stück Goldblech mit den paar falschen Perlen für wertvoll halten?
Der verknotete Rosenkranz war noch da.
Das Heiligenbildchen und der Christophorus.
Kein Devotionalienräuber.
»Erklär mir das«, sagte Pit. »Da zieht jemand unseren Klebestreifen vom Schloss, um diesen armseligen Schmuck zu klauen?«
»Vielleicht war er hinter was ganz anderem her.«
Kummer öffnete die Tür des Schrankes. Das gleiche Bild wie vor Tagen. Blusen, Röcke. Jacken. Alles billig. Nichts auffällig. Ein Kleidersack aus Nylon hing dazwischen. Er schloss die Tür.
»Irgendwas ist anders«, sagte Pit. »Nicht nur der fehlende Schmuck.«
In den großen Schubladen des Sekretärs lag die Wäsche.
Vier Tüten von Aldi und eine von Lidl unter der Spüle.
»Hast du mal in den Kleidersack geguckt?«
Kummer seufzte und öffnete die Tür des Schrankes erneut.
Den Kleidersack legte er auf das Bett. Der Reißverschluss klemmte. Kummer riss daran herum. Zwei schwarze Kleider lagen im Sack. Eines aus schwerer Seide. Das andere ein Kapuzenkleid aus Spitze.
Eine kastanienrote Perücke war in ein schwarzes Tuch eingeschlagen.
»Dazu den Schmuck aus der Bulgaritüte«, sagte Kummer.
Pit zog Kummer vom Bett weg. »Guck dir das Kreuz an«, sagte er.
Kummer guckte hoch. Das schwere Kruzifix war dabei, sich von der Wand zu lösen. Sekunden nur, und es stürzte auf das Bett und auf Kleider und Perücke, über die Kummer sich gerade eben noch gebeugt hatte.
»Sieht aus, als ob uns der Himmel ein Zeichen geben wollte«, sagte Pit.
Gernhardt gab die Perücke im Labor ab und ließ sich versprechen, dass er in den nächsten Stunden erführe, wer sie getragen hatte. Er zweifelte nicht, dass es die Gorska gewesen war.
Hatte sie zwei Leben geführt? Ein Chamäleon, das auf einem Stein gesessen und sich dessen Farbe angepasst hatte?
Bis zur Unsichtbarkeit farblos, dass sich keiner erinnerte, außer dem Knaben, der sie in der Frühschicht Büros putzen ließ.
Im anderen Leben eine Luxuspuppe.
Pit nahm den Pass aus der Akte Gorska. Einer der alten »paszportowe«, nur noch kurz gültig. Die Fotografie zeigte eine deutlich jüngere Frau als die Marta Gorska, die tot an einer Bushaltestelle am Altonaer Bahnhof gesessen hatte. Doch sie war noch erkennbar.
Kummer kam herein und sah verdrossen aus.
»Hast du einen von unseren Künstlern gesprochen?«, fragte Pit. »Sie sollen sich beeilen mit der Fotomontage.«
»Ich bin abgezogen worden von den Haltestellenmorden. Das heißt, ich darf nur noch mit halber Kraft arbeiten. Die andere Hälfte schenke ich unserem lieben Kollegen Lutz.«
»Hat der
Weitere Kostenlose Bücher